Interview mit einem 13jährigen
Johannes Beringer über "Interview mit einem 13jährigen"
Wie man aus einem Tonbandinterview, das vor 25 Jahren stattgefunden hat, Kino macht! Gewiss eine gewagte Idee – denn dafür muss ja erst eine Form gefunden werden –, aber das Resultat (ich habe den Hör-Film im Kino gesehen) trägt durchaus.
Bärbel Freund, damals Studentin an der DFFB, hatte 1980 die zwölfteilige Fernsehserie "France Tour Détour Deux Enfants" von Godard/Miéville gesehen und sich Fragen, die Godard den beiden 9 und 10 Jahre alten Kindern stellte, notiert. (...) Die mit einem Kassettenrecorder im Sommer 1983 aufgenommenen vier Interview-Sitzungen mit ihrem Bruder haben gewiss auch etwas Spielerisches, Versuchshaftes: mal sehen, wie ein Dreizehnjähriger auf Fragen reagiert, die Kindern und auch Jugendlichen sonst nie gestellt werden.
Und wenn man dieses Interview hört, fällt einem erst wieder auf, wie 'leblos' eigentlich die Erwachsenen-Interviews sind (mit denen man täglich konfrontiert und zugeschüttet wird), wieviel Absicherung, falscher Anspruch, Verkorkstheit, Wichtigtuerei, Eingetrichtertes da oft drinstecken. Ein reales Nicht-Wissen letztlich auch, weil man ja nicht mehr dem spontanen Ausdruck vertraut, der 'Potentialität der Rede', wie Ludwig Hohl das genannt hat, und also auch das 'Ungesagte' in sich nicht mehr spürt und hochholt. (...)
Jetzt waren da also diese in die Jahre gekommenen Tonband-Kassetten, an denen das Herz der Regisseurin irgendwie hing. In einem längeren Prozess, nachdem das Projekt einmal feststand, sind sie digitalisiert und technisch so bearbeitet worden, dass sie der Projektion im Kino Genüge tun konnten. Bärbel Freund hat auf der Bildebene mit Schwarzfilm und mit Blankfilm gearbeitet – der Tonebene damit also den Raum eröffnend, der einen dabeibleiben und eintreten lässt in das Gespräch. Das, was den Film hält (und erst zum Film macht), ist aber nicht nur das integral wiedergegebene Gespräch, sondern die Strenge der Form: der Wechsel von Schwarz- und Blankfilm, die Einteilung in Abschnitte und die Realfilm-Zäsuren, die aus Motiven bestehen, mit denen die Regisseurin in den letzten Jahren gearbeitet hat. Der Wildwuchs, der aus den Ritzen zwischen den Steinen sprießt, die Straßenbaustelle mit dem Transistorradio, die sparsam eingesetzte Musik ...
Johannes Beringer, 'shomingeki' Nr. 21, Berlin 2009, S. 24/25