Rot und Blau
Rot und Blau
Karlheinz Oplustil, epd Film, Nr. 1, 02.01.2004
"Rot und blau" gestreift war der Pullover des Jungen, der Barbara als Kind geholfen hat, als sie von einem Baum gefallen war. Diesen Jungen hat sie Jahrzehnte nicht gesehen, aber nie vergessen. Rote und blaue Blumen bringt die sanft selbstbewusste Ilke (Serpil Turhan) mit, als sie Barbara (Hannelore Elsner) und ihre Familie kurz vor deren 50. Geburtstag besucht. Sie weiß, dass es Barbaras Lieblingsfarben sind, weil sie Barbaras nun erwachsene Tochter ist. Aber beide hatten seit 20 Jahren keine Verbindung, Ilke war bei ihrem türkischen Vater geblieben, als dieser sich von Barbara trennte.
Das ist der Ausgangspunkt von Rudolf Thomes neuem Film, der als erster Teil einer Trilogie den Untertitel "Zeitreisen: Die Vergangenheit" trägt. Der mögliche Realitätsgehalt dieser Grundkonstellation ist durchaus fraglich: Dass eine sozial kompetente Frau wie Barbara wirklich ihre Tochter für 20 Jahre vollständig aus den Augen verliert, fällt etwas schwer zu glauben. Aber es ist eine Qualität des Thome-Kinos, dass man solche Einwände schnell vergisst, wenn man sieht, wie einfühlsam und glaubhaft der Film die schwierige Begegnung von Mutter und Tochter darstellt. Bezeichnenderweise zeigt Thome das erste Treffen der beiden – auf einem Parklatz am Wannsee – in einer Totalen mit respektvollem Abstand. Dabei verstärkt gerade die Distanz die Aufmerksamkeit für die von Schuldgefühlen geprägte Nervosität der einen und die von unterdrücktem Groll begleitete Neugier der anderen.
Thomes Kino scheint immer etwas über dem Boden der Wirklichkeit zu schweben, trotzdem zeigt er seine Personen und ihr Verhalten ungemein konkret, aufmerksam und genau, und beiläufig entsteht ein Sittenbild unseres beginnenden 21. Jahrhunderts. Die Zeit, die er sich für die Beobachtung scheinbarer Nebensächlichkeiten nimmt, für Autofahrten, technische Spielereien und fürs Feuermachen, für Rotweintrinken, Begrüßungsrituale und familiäre Beschäftigungen, für Feste, Lieder und den Nachklang wichtiger Ereignisse, spricht auch von der großen Zuneigung, die er seinen Personen entgegenbringt.
Die Sequenz, wenn Ilke vor dem Treffen Barbara zum ersten Mal anruft, ist mit einfachen Mitteln ganz großes Kino. Die Dramatik dieser Situation löst sich mit Charme auf im Eingreifen des neben Ilke sitzenden Detektivs Samuel (Hanns Zischler), wenn dieser ihr souffliert, wo genau sie sich treffen könnten. Wobei wir dann noch wenig später erfahren, dass eben dieser Samuel Barbaras Jugendfreund mit dem rotblauen Pullover ist ...
Vielleicht hat Rudolf Thome mit diesem Film ein neues Genre entdeckt: die Melo-Komödie. Wenn Barbara mit Pathos "die Vergangenheit" verbrennen will, heißt es trocken: "Das wird aber kompliziert." Nicht dass es an großen Gefühlen fehlen würde, aber sie werden so behutsam behandelt, dass ihnen jede Schwere fehlt. "Vielleicht ist das die Strafe Gottes, weil du dich nicht um mich gekümmert hast", bemerkt Ilke, als Barbara bei ihrem Treffen stolpert und sich den Fuß umknickt. Was sie ausspricht, ist ein übergroßes Wort für einen banalen Unfall, aber ganz abwegig ist es nicht.