Die Thuranos

Deutschland 2003 TV-Dokumentarfilm

Die Thuranos

Dokumentarfilm über eine Artistenfamilie


Silvia Hallensleben, epd Film, Nr. 8, 02.08.2004

Im Kern ist der Name echt, auch wenn er zur Bühnentauglichkeit ein bisschen romanisiert wurde. Und auch sonst guckt bei den "Thuranos" unter der üblichen Bühnenmaskerade immer wieder erstaunlich viel reelle Lebenserfahrung hervor. Vielleicht auch deswegen, weil sich Vater Konrad Thur und Sohn Johannes "Johnjohn" mit zusammengerechnet 134 Jahren Bühnenerfahrung genug Professionalität erarbeitet haben, um auf hohles Showlächeln zu pfeifen. Die letzten 50 Jahre standen sie zu zweit mit der weltweit einzigen Vater-Sohn-Seil-Comedy auf der Bühne: So etwas ist Vertrauenssache. Und eine gute Gelegenheit, auch eigene Macken auf die Schippe zu nehmen.

Ohne Schminke sieht der Mann mit der schütteren Mähne wie ein weiser alter Indianer aus. Doch die Seriosität täuscht. Mit seinen 95 Jahren beherrscht Konrad Thur die hohe Kunst der vorgetäuschten Schwäche mit Grandezza. Hier will ein Beinchen nicht mehr so recht, dort verklemmt sich ein anderes Körperteil im Seil. Johnjohn, seit dem vierten Lebensjahr mit dem Vater auf der Bühne und mittlerweile mit fast 60 selbst ein gestandener Mann, muss den Junior geben, der den gebrechlichen Alten mit bösartigen Anforderungen schikaniert.

Die beiden Dokumentarfilmer Kerstin Stutterheim und Niels Bolbrinker, die sich in vielen gemeinsamen Filmen engagiert mit so unterschiedlichen Themen wie dem Zusammenhang zwischen Bauhaus und Flugzeugindustrie ("Bauhaus - ein Mythos der Moderne", 1998) und zuletzt dem Swing in Deutschland ("It Don"t Mean a Thing, If It Ain"t Got That Swing", 1999) beschäftigt haben, begeben sich in ihrem neuen Film daran, die bewegte Geschichte der Artistenfamilie seit Konrads Anfängen 1927 im Düsseldorfer Apollo-Theater nachzuzeichnen. Und die beschränkt sich bei weitem nicht auf Vater und Sohn. Konrads Ehefrau Henriette Althoff stammt selbst aus einer bekannten Zirkusfamilie. Und auch Tochter Sabine stand lange Jahre in der Manege. Geboren wurde sie wie Johnjohn in Südafrika, wohin die "Thuranos" 1937 auswanderten, als ihnen die Verhältnisse in Deutschland zunehmend unheimlich wurden. Afrika, hatte Konrad gedacht, ist schön weit weg. Doch auch dort wurde die Familie von den politischen Realitäten eingeholt und mit Kriegsausbruch in einem Lager für feindliche Ausländer interniert. Später, der Schwiegervater hatte ein Viermastzelt aus Deutschland gespendet, mit dem "die Thuranos" ihren eigenen Zirkus gründen konnten, folgten auf Erfolge Schicksalsschläge, auf Katastrophen neue Triumphzüge in die Welt.

"Die Thuranos" konstruiert diese Geschichte aus offenherzigen Berichten der Beteiligten und historischen Filmbildern, von denen viele aus dem Familienarchiv selbst stammen. Dabei kommt auch Jeanette zu Wort, die älteste Tochter, die trotz elterlichen Bemühens keinerlei artistische Ader entwickeln wollte und bis heute mit dem unsteten Leben hadert, das ihr aufgezwungen wurde. Auch eine Artistenfamilie hat ihre dunklen Stellen. Wirklich sehenswert ist der Film aber wegen seiner filmischen Originaleinblicke in vergangene Zeiten, so etwa zum Verlieben schöne Super-8-Stücke von frühen Auftritten der Truppe. Diese Bilder sind es auch, die ästhetisch eine Kinoaufführung rechtfertigen. Der Rest ist gutes Fernsehen.

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