Beruf Neonazi

Deutschland 1992/1993 Dokumentarfilm

Beruf Neonazi: Der hilflose Antifaschismus



Rudolf Worschech, epd Film, Nr. 8, August 1994


Als vor zwei Jahren Thomas Heises "Stau – jetzt geht"s los" in die Kinos kam, waren die Aufführungen begleitet von öffentlicher Aufregung und massiven Störungen durch sog. "Autonome". Heute ist dieser Film ein fester Bestandteil jeder Kino-Reihe über Rechtsradikalismus, und niemand regt sich mehr über ihn auf. Bei keinem anderen Film hat sich aber die Diskussion so von ihrem eigentlichen Gegenstand, dem Film, entfernt wie bei "Beruf Neonazi". Wer heute, mehr als ein halbes Jahr nach den Beschlagnahmungen im Dezember, auf die Vorgänge um diesen Film zurückblickt, wird sich nicht des Eindrucks einer antifaschistischen Hysterie erwehren können, die teilweise zu absurden Ergebnissen geführt hat. Es gab eine Zeit, da hatten mehr Staatsanwälte und Richter diesen Film gesehen als zahlende Zuschauer.

Beunruhigend an diesen Vorgängen ist das vorschnelle Urteilen, der damals offensichtlich auf vielen lastende Druck, die politisch korrekte Gesinnung gegen Rechts bei "Beruf Neonazi" zum Ausdruck bringen zu müssen. Zur Frankfurter Filmschau im Dezember tauchte ein Flugblatt einer Gruppe namens "Courage gegen Rassismus" auf, das folgendermaßen begann: "Nach allem, was bisher aus der Presse und einigen Fernsehausschnitten über diesen Film bekannt wurde ...". Das entlarvt sich selbst, doch gefährlich wurde es spätestens dann, als diese Initiative im Februar eine Podiumsdiskussion organisierte, bei der der Film nicht gezeigt wurde, die eingeladenen Regisseure, Filmwissenschaftler und sogar der Leiter einer Landeszentrale für politische Bildung dennoch teilnahmen.

Für gefährlich halte ich es auch, wenn wie in dem Text von Quindeau/Kiesel/Schneider (epd Film 7/94) versucht wird, die Vorgänge um diesen Film so zurechtzubiegen, daß sie in das ideologische Wunschgebäude passen. Schon die Grundannahme für diesen Text ist falsch: Die "Befürworter" des Films hat es nie gegeben. Es gab vehemente Befürworter der Aufführung des Films und engagierte Kommentare zur Hysterie der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit, die sich zu "Beruf Neonazi" aber meist kritisch äußerten. Wer sich die Mühe macht und die wichtigen frühen Texte zum Film etwa von Dietrich Leder, Anke Sterneborg, Mariam Niroumand, Stefan Reinecke, Margit Voss, Andreas Kilb, Eva Hohenberger oder Peter Körte nachliest, wird einen differenzierten und kritischen Umgang mit "Beruf Neonazi" Film feststellen. Der Film hat ja nicht die diejenigen provoziert, die ihn verteidigt, sondern die, die sich von ihm angegriffen gefühlt haben, eben seine "Kritiker".


Der Text von Schneider/Quindeau/Kiesel entspricht in seiner Apodiktik und seinem Dogmatismus der Unerbittlichkeit jener, die damals vehement "Beruf Neonazi" verbieten wollten und die damit für Aufregung sorgten. Staatsanwälte und Pädagogen hatten immer schon eigene Vorstellungen vom Kino, und auch in diesem Text gibt es ein Modell, wie ein "richtiger" Dokumentarfilm über einen Neonazi zu funktionieren habe: die"„Selbstreflexion" des Regisseurs müsse zu sehen sein wie in den Filmen von Lanzmann oder Ophuls. Abgesehen davon, daß Bonengel sehr wohl als Fragesteller präsent ist (andere Kritiker des Films haben ihm übrigens das Duzen von Althans vorgeworfen), glaube ich immer noch, daß der Standpunkt eines Regisseurs in der Organisation seines Materials zum Ausdruck kommt und daß das Entscheidende die Reflexionen sind, die er im Zuschauer auslöst. Bonengels Methode ist eine andere als die von Marcel Ophuls, eher vergleichbar mit der Eberhard Fechners (in seinem Majdanek-Film "Der Prozess"), der sich als Interviewer ebenfalls völlig zurücknimmt, die Fragen grundsätzlich herausschneidet – mit aufregenden, überzeugenden Ergebnissen.

Inzwischen denke ich aber anders über die von vielen beklagte fehlende Distanz des Regisseurs zu seinem Protagonisten. Die Aufgabe der Distanz ist die Methode dieses Films. Sie funktioniert nicht immer, aber sie trifft dann, wenn sie das Einstudierte von Althans" Reden und Gestik einfängt. Sehr oft bleibt die Kamera noch bei Althans, auch wenn er seine Sprücheklopferei schon beendet hat. Bonengel und Feindt betreiben so die Demontage eines Demagogen, der mit vorgegebenen Klischees arbeitet. Peter Kremski (in agenda 14) hat diesen Vorgang auf den Punkt gebracht: "Bonengel bildet ab, wie Althans von sich selbst ein Bild entwirft, wie er die Rolle des Herrenmenschen für sich selbst erfindet und dabei doch nur ein Vorbild nachmalt" Nur durch Nähe können diese fast karikaturistischen Momente Zustandekommen, und diese Nähe ist es auch, die uns Zuschauer zu einer Stellungnahme – und zu einer Überprüfung des eigenen Verhältnisses zu Althans – zwingt. Und ich behaupte, daß diese nur Ablehnung sein kann.


Seit Februar habe ich mehrere Diskussionen nach der Vorführung von "Beruf Neonazi" miterlebt. Drei ganz normale Kinovorstellungen, in Ulm und im Kommunalen Kino Frankfurt, sowie eine nichtöffentliche Informationsveranstaltung im KoKi Frankfurt, zu der die Landeszentrale für politische Bildung und das Deutsche Filmmuseum eingeladen hatten. Bei den ersten drei Veranstaltungen bestand das Publikum aus Durchschnittszuschauern, jungen Leuten zwischen 20 und 30. Schon nach einer kurzen kontroversen Diskussion über Bonengels Methode der Distanzaufhebung waren die meisten der Meinung, es sei jetzt genug über den Film diskutiert worden, man müßte nun darüber sprechen, was man gegen die Nazis tun könnte. In Ulm, wo es ein paar Tage zuvor Auseinandersetzungen um den Republikaner-Parteitag gegeben hatte, saßen übrigens sechs stadtbekannte Neonazis im Publikum, die betonten, daß sie "einiges an dem Film auszusetzen" hätten. Bei der nichtöffentlichen Veranstaltung in Frankfurt war die Situation eine vollkommen andere. Gerade die Besucher aus der Erwachsenenbildung oder die, die sich selbst als "politische Bildner" bezeichneten, waren in Rage und konstruierten einen Einfluß des Films auf ein Publikum, das rechtsradikalen Strömungen gegenüber anfällig sei. Und zwar, weil Althans eine Identifikationsfigur darstelle, gut aussehe und gut gekleidet sei, sympathisch wirke. Die meisten "normalen" Zuschauer und besonders Zuschauerinnen waren anderer Meinung. Diesen war er zu zynisch, zu arrogant.

Die Empörung der Pädagogen über diesen Film macht stutzig. Aus ihr spricht tiefes Mißtrauen in die eigene Arbeit und die Angst vor der Ambivalenz des Filmbilds. Vielleicht sind die jungen Zuschauer urteilssicherer als die Pädagogen meinen, und vielleicht sind Pädagogen mehr von diesem Film berührt als sie zugeben können. Es scheint in der Rezeption des Films starke projektive Vorgänge zu geben. Wer Althans faszinierend findet, sollte sich selbst einmal fragen warum und nach jenen Ecken in sich suchen, die Dietrich Kuhlbrodt einmal "feuchte" genannt hat.

Allerdings sitzt mit dem porträtierten Ewald Althans auch die Pädagogik selbst auf der Anklagebank. Dieser Neonazi wuchs, man erfahrt es in einer zentralen Szene mit seinen Eltern, in einem Mittelschicht-Elternhaus mit diskussionsbereitem Klima auf, er besuchte die Waldorf-Schule – und ist doch Neonazi geworden. Die gängige Faschismus-Theorie von den sozial depravierten und Leitbildern beraubten Jugendlichen funktioniert bei ihm nicht. Er ist das lebendige Beispiel für das offensichtliche Mißlingen einer liberalen Sozialisation und Pädagogik.


Es gibt in der Diskussion mit vielen Pädagogen und im Text von Quindeau/Kiesel/Schneider noch ein weiteres Dogma in Bezug auf den filmischen Umgang mit Neonazis. Es heißt: "Hintergrundwissen". In einer anderen zentralen Szene leugnet Althans auf dem Gelände des Konzentrationslager Auschwitz pauschal die Massenmorde. Diese Szene muß nicht nur jeden Juden verletzen, der durch den Holocaust Angehörige verloren hat, sie muß uns alle verletzen, die wir um den millionenfachen Völkermord wissen. Diese Szene ist eine Verhöhnung unvorstellbaren Leids, eine Beleidigung der dort grausam zu Tode Gekommenen. Dem Film ist wiederholt vorgeworfen worden, daß er sich dadurch zum Vehikel macht für jene revisionistischen Historiker, die den Holocaust leugnen. Wenn aber heute einer noch nicht über Auschwitz Bescheid weiß, dann ist dies die Schuld der Gesellschaft, der schulischen Erziehung, der Politiker und der Justiz, die einen Film zwar schnell verbietet, aber ein erstes Verfahren gegen Althans eingestellt hat.

Die Grausamkeit dieser Szene liegt auch in Folgendem: der Zuschauer merkt, daß Althans öfter dorthin fährt, um seine Show abzuziehen, und daß es die Passivität der Besucher dieser Stätte ist, die seine Provokationen möglich macht. Angesprochen ist mit dieser Szene auch jener moralisierende Antifaschismus, der Auschwitz als das Inkommensurable bezeichnet, als Tabu, das die Grenzen der Aufklärung sprengt. Ich halte den Begriff des "Tabus" in dem Text, wenn ich ihn denn richtig verstanden habe, für ungenau, irreführend und wenig hilfreich. Welches Tabu wird durch Althans gebrochen? Die verdrängte NS-Vergangenheit und der Holocaust oder der bislang existierende Konsens, den Holocaust nicht zu bestreiten? Wahrscheinlich ist es mehr denn je nötig, Auschwitz zu "enttabuisieren", damit das Wissen um die industrielle Menschenvernichtung für unsere Gesellschaft nach wie vor abschreckend bleibt.

Für mich ist der Text von Schneider, Kiesel und Quindeau Ausdruck von Hilflosigkeit und Ohnmacht. Er suggereriert, daß die "Befürworter" des Films bzw. der Aufführung von "Beruf Neonazi", Antisemiten seien, die den Holocaust leugnen. Angesichts des erstarkenden Rechtsradikalismus ist diese Selbstzerfleischung kontraproduktiv. Denn eines muß man sich immer vergegenwärtigen: Die neuen Rechten sind so stark, weil die Linke so schwach ist.

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