Asphalt
Asphalt
Siegfried Kracauer, Frankfurter Zeitung, Nr. 235, 28.3.1929
Der Film dieses Titels ist ein Musterbeispiel künstlich emporgezüchteter Kolportage. Ein Schupomann liebt eine Diebin: welch ein Thema für einen Kolportageroman. Was aber geschieht? Statt den Stoff billig, mit der linken Hand, schmökerhaft und rosa glänzend aufzumachen, wie es sich für das Thema gehörte, wird er aus der literarischen Unterwelt in die Beletage versetzt. Eine Großstadtstraße von über 400 Metern ist erstellt worden, mehr als 23000 Glühbirnen haben gebrannt. Und so ist auch die Innenwelt zur Dauerféerie umgewandelt. Was verschlossen bleiben oder nur als Ergebnis mitgeteilt werden sollte, wird mit Umstand psychologisch entwickelt; als handle es sich um eine komfortable Fabel und nicht um ein Geschehen, das sich nur dem raschen Zugriff der Kolportage ergibt. Jede Regung des Schutzmannliebchens ist so ausführlich in Großaufnahme dargestellt, daß man die einzelnen Wimpern sieht; von dem Schutzmann selber wird ein detailliertes seelisches Röntgenbild entworfen; und um noch etwaige Hohlräume auszufüllen, ist eine Unmenge von kleinbürgerlicher Moral hineingestopft. Eine solche Überhöhung verträgt aber die ungewählte Handlung nicht. Gerade weil sie zu sehr gehoben und ausgebaut ist, scheint ihre Nichtigkeit überall durch, und das seiner Ansprüche wegen ungemäße Arrangement gibt sich zuletzt als kunstgewerbliche Verzierung zu erkennen. Dieses Versagen dem Gehalt gegenüber ist um so trauriger, als Joe May, der Regisseur, eine technisch vorzügliche Leistung bietet. Er hat die Finessen des Handwerks inne, er kann, was er will. Nicht viele Prosaisten vermöchten die Fahrt des edlen Paars in der Autodroschke so dicht zu erzählen wie er. Auch die Großaufnahmen sind stilsicher eingesetzt und durchgehalten, und die wandernde Kamera entschleiert äußerst geschickt das Miteinander der Menschen und Räume. Schade, daß, wie so oft in Deutschland, das technische Verständnis sich auf Kosten des Wissens um die geistigen Bedeutungen auslebt. Asphalt auch hier. – Albert Steinrück ist eine der Hauptfiguren. Der unlängst Gestorbene geht um, als lebte er noch, und kaum ist zu fassen, daß man so erscheinen und zugleich tot sein kann. Gustav Fröhlich stellt den Schupomann: gute Physiognomie und Gebärdenskala, gegen den Schluß hin psychisch zu ausgefeilt. Seine Partnerin Betty Amann ist für Mimik begabt und leuchtet, dank auch dem Regisseur, nicht selten verführerisch auf. (...)
Siegfried Kracauer: Werke. Band 6. Kleine Schriften zum Film.
Herausgegeben von Inka Mülder-Bach. Unter Mitarbeit von Mirjam Wenzel
und Sabine Biebl. 3 Teilbände. © Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. Alle Rechte vorbehalten. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.