Färblein
Johannes Beringer über "Färblein"
"(...) Jeder erinnert sich doch noch an die Farben, Gerüche, Töne und Tonungen der DDR? Nein, keiner erinnert sich mehr daran. Eine bestechende und genuin kinematographische Idee deshalb, einiges Äußere in seiner spezifischen Färbung auf dem Trägermaterial Film festzuhalten, solange es noch da ist: Bauwagen, Gerätschaften, Schuppen, Werktore, Zäune, Mauern, Gebäude, Wohnblöcke, Balkone, Mülltonnen, Läden, Schilder, Auslagen, Straßenberandungen, Verkehrszeichen, Autos, Motorroller, Tankstellen, Straßenbahnen, Haltestellen, Spielplätze, Bänke, Wiesen, Bäume ... Menschen und Tiere. Selten geschieht es, dass plötzlich ein Zugang zu Dingen möglich wird, die jahrzehntelang zu einem anderen Alltag gehörten und dessen Gebrauchsspuren tragen – die nun aber, vom westlich gepolten Auge schon eliminiert, ausgedient haben und öfter mal ein bisschen erbärmlich oder unnütz in der Gegend stehen. Es ist jedoch diese 'ungeschichtliche' Phase des Übergangs und des Verfalls, die das menschlich Gebrauchte wieder mit der Natur versöhnt und ihm eine unauffällige, aber anmutende Schönheit verleiht. (Bärbel Freund und Rainer Bellenbaum haben in Ostberlin und Umgebung vom 19. März bis 8. August 1990 auf Kodak-Material gedreht.)
Das ist ein stummer oder lautloser Film – und mir scheint die Entscheidung, den Ton ganz wegzulassen, eine kluge und für den Film richtige gewesen zu sein. So stehen die Bilder nämlich in seltsamer Nacktheit da, sie haben, indem sie meist diese blassen oder ungesättigten DDR-Farben vorzeigen – "matte, ins Grau gehende Gelbs, verwaschene Blaus, ausgediente Rots, zarte Graus aller Schattierungen" (Renate Sami) –, etwas Dürftiges, Ungeschütztes: wie wenn sie für die nicht mehr zu sich gekommene und nie mehr zu sich kommende sozialistische Utopie sprächen. Fast ist es, als nähme sich der Diminutiv 'Färblein' diesem, ihrem dürftigen und bald verschwundenen Zustand – dem vergessenen Versprechen – an. (...)"
Johannes Beringer, 'shomingeki' Nr. 8, 2000, S. 14/15