Frohe Zukunft
"Frohe Zukunft" von Bianca Bodau
Matthias Dell, "Freitag" Nr.46, 14.11.2008
"Am 3. Oktober hört die DDR auf zu existieren. In Warnemünde übergibt mein Vater die 4. Flotte der Volksmarine an die Bundeswehr. Er geht nach Hause, packt die Ordner ein und starrt zum Fenster hinaus. Wenig später wird die Warnow-Werft aufgekauft, der Großteil der Mitarbeiter entlassen. Auch meine Mutter, die dort seit 20 Jahren als Telefonistin arbeitet. Zu dieser Zeit sind meine Eltern 50 Jahre alt, sie wissen nicht, wie es weitergehen soll. Ganz im Gegensatz zu mir. Mein Vater findet eine Stelle beim Wachschutz und zieht in den Westen. Zwei Jahre später holt er meine Mutter nach. Sie mieten sich eine winzige Sozialwohnung und stellen die Anbauwand und die Couchgarnitur aus Lichtenhagen hinein, so dass es aussieht wie zu Hause. Doch das täuscht, es ist nicht zu Hause. Als ich sie das erste Mal besuche, raucht meine Mutter eine Zigarette nach der anderen. Mein Vater hat zu trinken begonnen und spricht vom Aufhängen. 1997 verlässt meine Mutter meinen Vater und beginnt ein neues Leben. Nun gibt es nichts mehr, wofür sich das Durchhalten lohnt. Systematisch trinkt sich mein Vater zu Tode. Ich löse die Wohnung auf und lasse die Anbauwand aus Lichtenhagen beim Nachbarn, einem Russlanddeutschen."
So erzählt Bianca Bodau die Geschichte vom Ende der DDR, wie sie sich im Leben ihrer Familie ereignet hat. Die Geschichte vom Ende der DDR ist oft erzählt worden: in der Literatur, wo sie als großer Wende-Roman erwartet worden ist, und im Kino. Gemein ist diesen Geschichten, dass der Akzent auf dem Leben vor dem Untergang der DDR liegt und dass ihre Akteure junge Menschen waren, denen der Mauerfall ein Tor geöffnet hat, durch das sie mühelos in die neue Zeit entschwinden konnten. Der 3. Oktober war in diesen Erzählungen zumeist das glückliche Ende, eine Art unausgesprochene Erlösung, die nur den Verlust der Nischenexistenz (wie bei Uwe Tellkamps Bürgertum in "Der Turm") oder den Verlust der Unschuld (wie bei der Jugend aus "Good Bye, Lenin") bedeutete. Was die Wende im Leben derer hinterlassen hat, die nicht einfach oder nicht erst recht weiter machen konnten, ist ausgespart geblieben. Der dissidente Schriftsteller in "Das Leben der Anderen" veröffentlicht ein Buch über seinen Stasi-Engel, die Mutter in "Good Bye, Lenin" stirbt am Tag der Einheit.