Danton
Danton
In Büchners "Danton" ruft Lucile Desmoulins vor dem Schafott: "Es lebe der König!" Auch in Anatole Frances Revolutionsroman "Les Dieux ont soif" ruft zum Schlusse ein junges Mädchen, die Dirne Athenais: "Vive le roi!" Zwar Vertreterinnen des schwächeren Geschlechts; doch die Tendenz des Ganzen ist nicht zu verkennen.
In diesem Filme "Danton" rief keiner "Es lebe der König!" – außer etwa die vier bis fünf offenbar besonders noblen Logenbewohner des Ufapalastes, die einen arroganten Witz des royalistischen Verschwörers Hérault de Séchelles – für hervorragend bejubelnswert hielten. Es ist auch wirklich kein royalistischer Film. Ein revolutionärer natürlich schon gar nicht. Die Gesinnung dieses Filmes ist sehr brav. Man könnte sagen, dieser Film ist nicht für Robespierre und nicht für Hérault de Séchelles, sondern für Ebert und Simons. "Wann wird die Revolution endlich aufhören, und die Republik beginnen?" ruft etwas emphatisch ein Titel. Ebert könnte das in einem Momente väterlichen Zornes auch nicht anders ausdrücken.
Ich muß sagen, aber das ist schon halb Privatsache, etwas linkser oder etwas rechtser wäre mir aus reinen Kunstgründen, lieber. Wenn man die Ausfälle der konservativen Giftkröte Joseph de Meistre gegen die große Revolution liest, wird man wenigstens für fünf Minuten Royalist – schon aus Sinn für Humor, wenn man den Roman Frances liest, wird man für eine Stunde Royalist, schon aus lateinischem Formgefühl; wenn man die Notizen Bakunins oder Krapotkins liest, fühlt man sich am Ende gar zu den +++ Jakobinern hingezogen. Aber daß dieser Film der deutschen demokratischen Partei oder der S.P.D. auch nur einen einzigen Anhänger werben wird, kann ich mir nicht vorstellen. Und das mit der historischen "Objektivität" ist auch soso. Augen des Hasses, wie Augen der Liebe, sehen viel schärfer. Der Objektive sieht manchmal gar nichts richtig, weder das Linke, noch das Rechte.
Schließlich ist es doch ein guter Film, ein wirklich sehr guter Film. Ein bißchen länglich, ja; aber er wird ausgezeichnet gespielt, da verzeiht man Manches. Und da er historisch vermutlich ziemlich getreu sein dürfte (zu Filmkritiken wälzt man keine "Geschichte der französischen Revolution"), so mußte ich mit mancherlei Wehmut an meine tödlichen Geschichtsstunden im Gymnasium denken, in denen ich nicht, aber um keinen Preis, Danton von Mirabeau unterscheiden konnte, und Robespierre von Saint Just, und Baboeuf von Desmoulins. Alle drei kochten wie Kartoffelbrei in unseren armen Schädeln. Man sah sie eben nicht in dem blöden Geschichtslehrbuch, der Teufel zwicke seinen Verfasser mit zehntausend glühenden Zangen zwei Jahrhunderte lang.
Hier sieht man sie vor sich – irgendwie. Ob ganz richtig? Wer kann das entscheiden. Aber man sieht sie irgendwie, man sieht sie scharf, umrissen, deutlich, nicht zu verwechseln. (...)