Pestalozzis Berg
DDR-Filme. Zwiespältige Schicksale
Brigitte Jeremias, epd Film, Köln, Nr. 4, 1989
Die DDR war im Wettbewerb mit zwei prominenten Filmen vertreten, mit "Fallada – letztes Kapitel" von Roland Gräf, der als bester DDR-Film des Jahres 1988 gilt, und mit einer der noch immer seltenen Co-Produktionen der DEFA mit dem Westen, mit "Pestalozzis Berg", inszeniert von dem Schweizer Peter von Gunten.
Daß der bekannte italienische Schauspieler Gian Maria Volonté in einem DEFA-Film mitspielt, ist eine Sensation besonderer Art, bewirkt dadurch, daß an dem Film des Schweizers Peter von Gunten, Pestalozzis Berg, auch die Schweiz und das ZDF als Co-Produzenten beteiligt sind. Dem Film liegt Lukas Hartmanns Pestalozzi-Roman zugrunde; Hartmann, selbst Schweizer, hat neben Peter Schneider am Drehbuch mitgearbeitet. Daß Johann Heinrich Pestalozzi (1746 bis 1827) ein berühmter Erzieher und Sozialreformer war, hat sich inzwischen herumgesprochen. Sein Kernsatz, "Kartoffel und Elementarschule sind die Grundlage jeder Sozialreform", fällt auch in von Guntens Film. Behandelt wird Pestalozzis Sechs-Wochen-Aufenthalt im bernischen Gurnigel-Bad ("Pestalozzis Berg"). Der nicht mehr junge Erzieher befindet sich in einer Lebenskrise, bewirkt durch das soeben unglücklich verlaufene Experiment im Kloster des Bergdorfes Stans. In Rückblenden wird gezeigt, wie Pestalozzi versucht hatte, 80 fast verhungerte und unwissende Dorfkinder an sich zu binden. Zunächst, indem er ihnen Kleidung und warmes Essen gab, wenn es nötig war, auch durch Krankenpflege. Freundlich gesinnt ist Pestalozzi inmitten einer eingebildeten halbaristokratischen Gesellschaft, die sich über den Sonderling mokiert, nur der Gastwirt (Rolf Hoppe, sonst einer der einprägsamsten DDR-Schauspieler, hier leider blaß). Man sieht, wie Pestalozzi ganz konkret die Kinder das Zählen lehrt. Die Kinder, zuerst widerspenstig, bissig und bös, lernen ihren sonderbaren Reformlehrer lieben. Eines Tages aber wird der Raum im Kloster, der Pestalozzi für den Unterricht zur Verfügung steht, als Lazarett benötigt. Die Kinder können protestieren, so viel sie wollen, sie müssen mitsamt ihrem zornigen Lehrer ausziehen. Volonte spielt den Pestalozzi als Wunderling, als Halbirren, der gerne die dünkelhaften Großbürger durch unverblümt ausgesprochene Wahrheiten frappiert. Etwas grundlegend Neues erfährt der Zuschauer allerdings nicht über den Reformer. Vor allem nicht, daß es für Pestalozzi nach diesem Rückschlag noch eine Zukunft gab: die Internatsschule in Yverdon, in der er Kinder aus ganz Europa erzog. Pestalozzis Berg ist ein Farbfilm eher gemütlicher Machart.