Beste Zeit
Beste Zeit
von Rainer Gansera, epd Film, Nr. 8, 2007
Ein Gespenst geht um in der deutschen Kinolandschaft: der "Neue Heimatfilm". Er spricht bayerisch und nimmt immer konkretere, facettenreichere Formen an. In Lexika kann man bereits lesen, dass dieser Neue Heimatfilm 2003 mit Hans Steinbichlers "Hierankl" aus der Taufe gehoben wurde und mit Marcus H. Rosenmüllers Überraschungshit Wer früher stirbt, ist länger tot 2006 den großen populären Durchbruch feierte.
Heimat? "Heimat ist, wo es weh tut!", formulierte Steinbichler, um sich von den schmalzigen Heimatfilmidyllen der fünfziger Jahre abzugrenzen. Mit seinem wild wuchernden alpenländischen Familiendrama Hierankl und dem grandiosen Wüterich-Porträt in Winterreise zeigte er, dass "Heimatfilm" für ihn die Suche nach einem melodramatischen Stil ist, der es erlaubt, existenzielle Abgründe schroff aufzureißen.
Für Rosenmüller ist die bayerisch-ländliche Heimat durchaus etwas, das – bei allen Widerborstigkeiten – guttut: Nähe, Erdung. Zu spüren war das schon in der mit surrealistischem Bauerntheater versponnenen "Lausbubengeschichte" Wer früher stirbt … und der knalligen Bobfahrer-Komödie Schwere Jungs. Besonders deutlich wird es nun in "Beste Zeit", den Rosenmüller seinen "ersten wirklichen Heimatfilm" nennt. Hier liefert er eine Glücksdefinition des Heimatlichen, indem er eine innig durchstrahlte, die Sternschnuppen am Nachthimmel über dem Dachauer Land zählende Mädchenfreundschaft ausmalt. Nach zwei Jungs-Filmen überrascht er damit, dass er sich mit seiner elementaren Erzähllust auch mühelos in die Seelenlage einer 17-Jährigen einschwingen kann.
Sie heißt Kati – wunderbar frisch: Anna Maria Sturm –, lebt bei ihren fürsorglichen Eltern (kein Generationenkonflikt) auf dem Bauernhof, träumt von der großen Liebe und einer Amerikareise, stolpert durch allerlei Liebeskonfusionen, schwankt zwischen Fern- und Heimweh und hat in ihrer Freundin Jo – cool und bezaubernd: Rosalie Thomass – den immer etwas hellsichtigeren und geduldig Trost spendenden Gegenpart. Die Mädchenfreundschaft erleuchtet auch alles andere: die sanft hügelige Landschaft, den dialektstolzen, prägnanten Dialogwitz (das autobiografisch gespeiste Drehbuch stammt von Karin Michalke) und die intensiven Großaufnahmen Katis, die in jeder Nuance ihre seelischen Coming-of-Age-Turbulenzen spiegeln. "Heimat" erscheint hier als selbstverständliche Nähe, die von der Heldin in O-wie-schön-ist-Panama-Manier übersehen wird.
"Beste Zeit" – der erste Teil einer Trilogie, die mit Beste Gegend und Beste Chance komplettiert werden wird – ist eine unvermutete Wendung in der Arbeit Rosenmüllers: hin zu leiseren Tönen, subtileren Zeichnungen, äußerlich unspektakulär, aber anrührend wahrhaftig. Ein erstaunlicher Beweis für die Lebendigkeit des Neuen Heimatfilms.
Marcus H. Rosenmüller überrascht nach zwei Komödienerfolgen mit einer subtilen, anrührend wahrhaftigen Coming-of-Age-Geschichte. Ein "Neuer Heimatfilm", in dem die innige Freundschaft zweier 17-jähriger Mädchen den krisenresistenten Kern eines zwischen Fern- und Heimweh schwankenden Lebensgefühls bildet.