Die antisemitischen Gebrüder Herrnfeld

N.N., Jüdische Rundschau, 28.08.1908

Unter dieser Spitzmarke lesen wir in der Berliner Wochenschrift "Die Standarte" folgende Betrachtungen vom "Flaneur", die gegenwärtig besonders aktuell sind:

Es gibt in Berlin einen Verein zur Abwehr des Antisemitismus, der gewiss schon manches heilsame und friedfertige bewirkt hat. Wenigstens merkt man, daß es auf diesem Gebiete einigermassen still geworden ist,. Es gehört schon lange nicht mehr zum guten Ton, Antisemit zu sein, im Gegenteil, Toleranz ist einmal wieder sehr in Mode, und selbst die feudalsten Arier kokettieren mit ihren Beziehungen zu reichen, aber östlichen Mitbürgern.

Um so unerfreulicher ist es, dass sich gerade hier in Berlin ein höchst übler und unerfreulicher Rest des alten Radauantisemitismus hält und nicht schwinden will. Wir meinen das Theater der Gebrüder Herrnfeld, das seit Jahren bestrebt ist, jüdisches Wesen und jüdischen Charakter in der gröbsten Weise zu beschimpfen und alle deutschen Juden durchweg als Trottel oder verlumpte Kerle hinzustellen. Bekanntlich sind solchen antisemitischen Tendenzstücke die ausschließliche Spezialität dieses Theaters. Und ebenso bekannt dürfte es sein, dass das Publikum der Bühne in der Kommandantenstrasse sich fast nur aus Christen reinsten Wassers zusammensetzt, wahrscheinlich zum grössten Teil aus Antisemiten, denen diese Verhetzung des Judentums ein gefundenes Fressen ist. Namentlich jetzt, da Berlin voll ist von uckermärkischen und hinterpommerschen Sommergästen, macht sich das alles recht feierlich. Allabendlich ist das Herrnfeld-Theater voll von diesen lebenden Reckengestalten, die sich das Kauderwelsch und das geistlose Gezappel da auf der Bühne anschauen und zu Hause erzählen werden, das Berliner Judentum sei aber auch wirklich keinen Schuss Pulver wert.

Als besonders unangenehmer Einschlag kommt da hinzu, das was sich eben nicht anders als mit dem schönen Worte "Schweinerei" abtun lässt. Das jüngste Stück der Herrnfeld-Bühne "Das kommt davon" leistet auf diesem Gebiete das denkbar Höchste und bricht alle Rekorde der Herren Laubenberg und Alexander... Jeder, der auftritt, ist ein Lump und Schürzenjäger, alle Ehen gehen über Kreuz durcheinander, und all das wird dann als jüdisches Milieu geschildert. Und wer sich über die Tendenz der Sache noch nicht ganz im reinen ist, den kann ein Detail aufklären; die einzige anständige Person des Stückes ist ein Christ (...), der im zweiten Akt dem jüdischen Haupthelden Ohrfeigen anbietet.

Nun meint der freundliche Leser vielleicht, der Sinn dieser ganzen Epistel sei ironisch gemeint; denn die Gebrüder Herrnfeld seien auch Juden, und denen sei nichts antisemitisches zuzutrauen. Diese Einwendung ist in der Prämisse fehlerhaft. Die gebrüder Herrnfeld sind Christen, sie sind getaufte Juden, und es ist nur allzu bekannt, dass bisweilen Renegaten die eifrigsten Gegner ihres alten väterlichen Glaubens zu sein pflegen. Sicher wäre kein Jude, der auch nur einen Funken Herz und Erinnerung für seinen Glauben hat, fähig, die eigene Sache so in den Schmutz und in das Lächerliche zu ziehen. Nur wer ganz ausserhalb aller Gemeinschaft steht, konnte auf den Gedanken kommen, aus der Verhunzung einer Religion und Rasse ein glänzendes Geschäft zu machen.

Und wie gesagt, es bleibt wunderbar, dass die jüdischen Mitbürger sich eine Verhöhnung ihrer eigenen Sache durch Andersgläubige so lange gefallen lassen. Wobei eingeschaltet sein mag, dass eine szenische Vorführung jüdischen Wesens und Lebens an sich noch keine Kränkung zu sein braucht. Auch eine Verulkung des Judentums kann immer noch harmlos sein, steckt doch die Selbstironie und Selbstpersiflage tief im jüdischen Charakter, und sind doch all die köstlichen Kalauer (die jetzt der treffliche Manuel Schnitzer in zwei prächtigen Bänden gesammelt hat) in ihrer Mehrzahl eine harmlose Verspottung der eigenen Art und des eigenen Fehlers. Was da in der Kommandantenstrasse so unerfreulich ist, dass ist die gehässige Einseitigkeit, mit der alle Juden als Wichte oder Cretins dargestellt werden. Der Vorstand der jüdischen Gemeinde sollte sich den Sabbath einmal recht aufmerksam ansehen. Und sollte versichert sein, dass kein Radauantisemitismus jemals der jüdischen Sache so geschadet hat, wie die Herren Armin und Donat Herrnfeld in ihrem duftenden Musentempel.

Der Herr 'Flaneur' hat gewiss nur zu recht, aber das Schlimmste erwähnt er nicht einmal: das nämlich auch zahlreiche Juden diesen – Musentempel und sich "gottvoll" amüsieren, und dass die "judoliberale" Presse die eifrigste Förderin dieser antisemitisch verschönten "Schweinerei" – nach Herrn Flaneur – ist.
Und das ist der Skandal an dieser Sache !

Der Verfasser des Artikels konnte nicht ermittelt werden. Die rechtmäßigen Erben bitten wir, sich bei der Redaktion von filmportal.de zu melden.

(Quelle: Compact Memory http://www.compactmemory.de/ – das Wissenschaftsportal für Jüdische Studien)

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