Grotesker Film

Valeska Gert, Film-Kurier, Nr. 240, 12.10.1925

Aus Amerika kommen die meisten Groteskfilme, die gezeigt werden, aus Frankreich kamen zwei groteske Filme von Picabia und Léger, die im letzten Frühling in Berlin an zwei Vormittagen in der Ufa vorgeführt wurden, und in Deutschland macht man keine eigenen grotesken Filme mehr, weil man glaubt, die Güte der amerikanischen nicht erreichen zu können. Das ist ein Irrtum. Man wird in Deutschland natürlich nie den amerikanischen gleichwertige Groteskfilme machen können, wenn man die amerikanischen zu kopieren sucht. Sowie die Deutschen aber den Mut haben werden, ihre eigene Groteske zu suchen, werden sie, genau wie Amerika, erstklassige Groteskfilme machen können.

Die Groteske ist heute kein Spezialgebiet Amerikas mehr, sondern sie ist eine moderne Weltanschauung geworden: Nichts im Leben ernst zu nehmen, weil nichts es wirklich verdient, oder aber das Fruchtbarere: alles ist gleichermaßen ernst und wichtig. Also wird jedes Land Filmgrotesken machen müssen, wenn es aktuell sein will.

Jedes Land wird im Film die Dinge übersteigern, die ihm am wichtigsten sind. Für den Amerikaner ist es die Bewegung. Deswegen bastelt sein idealer Groteskfilm in der grotesken Variation der Bewegung (Chaplin, Buster Keaton, Harald Lloyd).

Für den Franzosen ist es die Lust am Sinnlichen, Gegenständlichen, an der Form. Die Alleinherrschaft des menschlichen Schicksals fällt weg; Teller, Gläser, Hüte leben in den zwei typischen grotesken Franzosenfilms ihr eigenes Leben, sind leidvoll und freudvoll wie Menschen, allein bewegt von einem Sehen, für das es zwischen einem Schuhknopf und dem lieben Gott keinen Unterschied mehr gibt.

Der Deutsche, von diesem rein sinnlichen Denken von jeher etwas etwas abgestoßen, verlangt in erster Linie die Darstellung der menschlichen Gefühle. Daher wird die deutsche Groteske in den Überspitzungen der menschlichen Leidenschaften bestehen.

Aber nicht nur menschliche Schicksale werden dadurch gezeigt, daß sie mit ihren Ursachen und Wirkungen bis zur äußersten Konsequenz getrieben werden, sondern auch die Mechanik wird bis zum Überrealistischen gesteigert. Darin scheinen sich diese Filme zwar wieder mit den amerikanischen zu berühren. Sie unterscheiden sich aber wesentlich darin, daß das Abrollen nicht skurril und zufällig, sondern die Aufblähung einer Grundidee ist, die im Platzen den Kern zeigt.

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