Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders

Deutschland Spanien Frankreich 2005/2006 Spielfilm

Die Schraube anziehen, den Wahnsinn beschleunigen

filmportal.de-Interview mit Tom Tykwer (2009)

 

Wahrhaftiges Kino braucht eine aufrichtige Haltung: Anlässlich der Vorführung von "The International" im Deutschen Filmmuseum sprach Regisseur Tom Tykwer im Interview mit filmportal.de über die ständig neuen Herausforderungen des Filmemachens, das Selbstverständnis eines Auteurs im Genrekino, die besondere Bedeutung des künstlerischen Kollektivs und die pure Lust am Irrwitz.

filmportal.de: Liest man die ersten Kritiken zu "The International", dann fällt auf, dass der Film jenseits seines Thriller-Sujets durch das Thema Wirtschaftskriminalität eine besondere Aufmerksamkeit erlangt hat. Und dass vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzkrise natürlich auch eine ganz andere Gewichtung in der Rezeption stattfindet...

Tom Tykwer: Bedauerlicherweise.

Genau dies wäre die Frage: Ist diese Aufmerksamkeit ein Segen oder vielmehr ein Fluch, da hierbei die narrativen Qualitäten aufgrund eines tagesaktuellen Themas in den Hintergrund geraten?

Mich hat das ein bisschen gelangweilt. Wir haben sieben Jahre an dem Film gearbeitet und niemals gewusst, dass eine Krise kommen würde. Ich finde auch nicht, dass der Film in besonderer Weise etwas über diese akute Krise zu sagen hätte. Wenn, dann setzt er sich mit dem Wirkungsprinzip, das dahintersteckt, auseinander. Das kann man meinetwegen als Subtext ernst nehmen, und das ist auch spätkapitalistische Realität. Doch vor allem ist es zunächst einmal ein Genrefilm.

Absolut.

Und das war auch die Aufgabenstellung. Wenn man ein Selbstverständnis als Autorenfilmer hat, stellt sich die Frage: Wie bringst Du Genre und individuelle Filmsprache zusammen? Wir alle wissen, dass viele der interessantesten Autorenfilmer auch explizite Genrefilmer waren. Hitchcock, aber auch Howard Hawks sind ja als frühe Auteurs anerkannt worden. Heute gilt das – wenn man so will - auch für jemanden wie Pedro Almodóvar, der sich in seiner Arbeit mit dem Genre des Melodrams auseinandersetzt.

Ich bin bei "The International" natürlich auch in eine Gesprächsspirale geraten, denn zum Start des Films war das Thema so akut, dass man daran gar nicht vorbeikam. Aber das erschöpft sich schnell und mit Blick auf den Film, den ich ästhetisch viel interessanter finde als politisch, hat mich diese Rezeption ein wenig frustriert. Zumal gerade von Tageszeitungen total darauf herumgeritten wurde. Da wurde der Film so wahrgenommen, als wäre es ein Schnellschuss zur ökonomischen Lage der Welt. Ganz im Gegenteil – es war wirklich ein sehr sorgfältiger, lang vorbereiteter Versuch in einem Genre, das quasi ausgestorben ist: der Paranoia-Thriller.

Dass Kritiken den Film als Beispiel für topic-filmmaking sehen, erscheint mir auch völlig unpassend.

Das ist auch nichts, was mich je irgendwie beschäftigt hat. Man muss doch nur hinsehen: In meinen Filmen ist es nie so gewesen, dass sie explizit oder akut Bezug auf irgendein Gegenwartsphänomen nehmen.

Es wäre spannend, wenn man Ihre anderen Filme ähnlich auf ein Thema herunterbrechen wollte.

Das wird ja immer gern versucht. Auch "Lola Rennt" war damals plötzlich der Film zur neuen Generation. Als der Film rauskam, wurde Schröder Bundeskanzler und Kohl dankte ab. Und der Film wurde entsprechend benutzt, als wäre er der Startschuss in eine neue Ära. Ich persönlich habe mir gedacht: Ihr spinnt wohl.

Auch damals interessierten mich primär ästhetische Fragen. Natürlich ist die politische Relevanz des Kinos immer diskussionswürdig , speziell wenn Filme eine gewisse kontroverse Energie haben. Dann muss man sich damit auseinandersetzen und das hat auch eine politische Komponente. Aber es war sicher nicht so, dass ich damals gedacht habe: "Oh, Regierungswechsel, jetzt machen wir mal einen Stimmungsfilm." Nichts könnte mir ferner sein.

Wobei "Lola Rennt" durch das Motiv des Spiels und die Eröffnung von Möglichkeiten in der Rezeption für beträchtliches Aufsehen sorgte, nicht zuletzt international. Insofern war der Film auf jeden Fall eine Zäsur, nur natürlich nicht unter diesem Anspruch formuliert.

Unter ästhetischen Gesichtspunkten wollte ich das auch unbedingt. Es ging natürlich darum, eine bestimmte Energie zum Ausdruck zu bringen, die möglicherweise etwas mit einem spezifischen Gefühl zu tun hatte: Dass man aus dem Phlegma heraus zum Platzen angelaufen war, und einfach keine Lust mehr hatte, in dieser Wohlstandsblase vor sich hin zu ratzen. Das war schon was ganz Eigenes. Dem der Film durch seine reine Dynamik, seine Bewegung Ausdruck verleiht. Dies sei auch zugestanden, aber trotzdem: Er entspringt einer Anordnung, die zuvorderst ein ästhetisches Experiment ist.

Dennoch war es immens spannend, die damalige Rezeption zu verfolgen. Auch mit Blick auf die folgenden Filme, wobei ich "Der Krieger und die Kaiserin" vielleicht ausklammern würde....

Warum?

Nicht, weil ich ihn nicht mögen würde. Aber gerade diese Vehemenz in der internationalen Rezeption von "Lola Rennt" war erstaunlich: Das hier sei jetzt symptomatisch für ein neues, hippes deutsches Kino. Und Sie selbst wurden als Protagonist dieses Kinos gehandelt. Nicht aus eigenem Anspruch heraus, sondern eben in der öffentlichen Wahrnehmung. Aber mit Ausnahme von "Der Krieger und die Kaiserin" haben sich die Filme, die danach kamen – "Heaven", "True", "Das Parfüm" und jetzt "The International" – dezidiert aus diesen, wenn man es so nennen darf, gängigen Grenzen einer deutschen Kinoproduktion gelöst. In Schauplätzen, Sujets und auch in der Besetzung.

Nicht bewusst und ohne Absicht. Auf diese Weise betrachtet man nicht die eigene Arbeit und die eigenen Interessen. Die entwickeln sich völlig unabhängig von solchen Überlegungen. Wenn man von etwas ergriffen ist, einem Thema oder dem visuellen Startpunkt eines Projekts, dann ist man weit entfernt davon, zu denken: Was hat das jetzt mit dem deutschen Kino zu tun? - Das interessiert mich auch ganz generell nicht, wenn es um Kunst geht. Das gilt auch für die Gruppe: Ich bin ja mit vielen Leuten gemeinsam älter geworden, die alle kreativ zu einem Film beitragen. Das ist inzwischen kaum mehr auseinander zu dividieren. Nicht nur die X-Filme, ich meine da auch Frank Griebe, den Kameramann, Mathilde Bonnefoy, die Cutterin, Uli Hanisch, den Ausstatter, Matthias Lempert, den Tongestalter – das sind alles Leute, die das teilweise seit 15 Jahren machen. Und die einen Film maßgeblich prägen, dass ist schon ein familiäres oder künstlerisches Kollektiv.

Für mich und die Anderen geht es dabei nicht darum, wie wir in Bezug auf das deutsche Kino neue Statements formulieren können. Natürlich bringen wir etwas "Deutsches" in die Filme, ganz gleich wo und wie wir sie drehen, aber das hat mit sozialer und kultureller Prägung zu tun.

Das würde ich auch auf jeden Fall unterschreiben.

Es ging aber eben nicht darum, vermeintlich internationaler zu werden oder nicht. "Lola Rennt" war da letztlich viel internationaler als andere meiner Filme.

Im Wirkungsgrad auf jeden Fall.

Und manchmal sind es ganz pragmatische Gründe: Es gibt Filme, die einen bestimmten Aufwand erfordern und nicht finanzierbar sind, wenn man sie nicht auf Englisch dreht. Oder aber es macht inhaltlich keinen Sinn, sie auf Deutsch zu drehen. Einen Film wie "The International" etwa könnte man gar nicht vor einem deutschen Hintergrund drehen, weil so viele Vorgänge hier so nicht ablaufen würden. Dann müsste man das ganze Drehbuch anders entwerfen. Allein schon die spezifischen Arbeitsvorgänge bei Interpol: Dort arbeiten natürlich auch Deutsche, aber da wird überall Englisch oder Französisch gesprochen. Deutsch, das würde nicht gehen. Es ging um Interpol, um globale Verstrickungen und auch um das internationale Operieren. Wenn man einen Film in der Finanzwelt ansiedelt, dann ist Englisch eben die Amtssprache. Insofern lag das bei dem Film nahe.

" Das Parfüm" hätte man natürlich auch auf Französisch drehen können – aber dann hätte ich den Film nicht machen können, weil ich nicht gut genug Französisch spreche. Und zudem hätte ich ihn für das Geld nie auf Französisch machen können.

Ich halte von simplen nationalen Zuschreibungen eines Kinos auch nichts. Dennoch geraten Filmemacher – so jedenfalls mein Eindruck – in Deutschland oft in die Situation, sehr schnell für eine Agenda oder ein Konzept des deutschen Kinos vereinnahmt zu werden. Oder es wird im Gegenzug gesagt: Das ist jemand, der überhaupt keine Wurzeln hat und nur geschäftlich dreht. Das wäre dann, provokant formuliert, das Petersen- oder Emmerich-Modell. Es sind oft polarisierte, auch klischierte Wahrnehmungen von Filmemachern, die hier existieren.

Wobei man bei Petersen und Emmerich sagen muss: Das sind Filmemacher, die konsequent sind und für sich eine richtige Entscheidung getroffen haben. Das finde ich sehr respektabel. Beide haben ja nicht irgendwie einen wackeligen Spagat versucht, sondern bewegten sich ganz gezielt auf ein System zu, von dem sie aufgenommen wurden und dass sie völlig verinnerlicht haben. Und das sie natürlich perfekt bedienen, entsprechend ihren eigenen Bedürfnissen und Ansprüchen.

Die Konsequenz in der Entscheidung, wie Sie es eben beschrieben haben, zeigt sich bei Ihnen sicher in der kontinuierlichen Zusammenarbeit mit den kreativen Partnern. Und bei der Wahl eines Sujets scheint es Ihnen immer um den konkreten Gegenstand zu gehen, nicht um die Erfüllung von Erwartungen oder die Bestätigung eines Image.

Ja, es kommt wirklich darauf an, ob das eigene Interesse an einer bestimmten Stelle geweckt wird. Manchmal ist es tatsächlich ein Thema, manchmal nur ein ästhetisches Fragment. Dann hat man plötzlich Material und merkt, da könnte etwas draus werden: Etwas, das uns wirklich interessiert, so dass wir auch bereit sind, dafür jahrelang zu arbeiten. Denn das ist für mich immer die größte Frage – es gibt so viele Filme, die sehe ich persönlich gerne, aber wenn ich mir vorstelle, ich hätte den machen müssen: Was für ein Albtraum, mich drei Jahre damit rumzuschlagen! Also versuche ich Filme zu machen, die ich als echte Herausforderung empfinde. Ob dies dann gelingt, ist noch mal eine zweite Frage. Aber das muss immer der Anspruch sein: In der Arbeit etwas herzustellen, das genug Substanz hat, um nachhaltig relevant zu bleiben.

Lockt eher die erzählerische Aufgabe – beispielsweise. die Adaption eines Romans – oder die ästhetische Herausforderung, etwa sich in einem bestimmten Genre zu bewegen?

In der Regel leitet sich das eine aus dem anderen ab. Beim "Parfüm" fand ich die Romanerzählung sicher interessant, aber vor allem faszinierte die Perspektive des Protagonisten. In diesen Film habe ich über die Figur des Mörders gefunden, denn dessen Subjektivität wirklich zu greifen, das ist eine echte, vornehmlich ästhetische, Herausforderung.

Erzählung und Ästhetik bedingen sich.

Genau. Zunächst war da das Interesse an der Figur, und wie man die Welt durch die Nase begreifen kann. Dann stellt sich die Frage, wie lässt sich das filmisch erzählen. Und dann sind da natürlich tausend ästhetische Herausforderungen, die einem über den Weg laufen. Natürlich stehen am Anfang Bilder, die relevant sind. Aber diese Bilder haben immer erst dann die Substanz, die sie wirklich zu einem Film bewegt, wenn sich die Geschichten schon in Andeutungen entwickeln.

Bei "Der Krieger und die Kaiserin" gibt es auch diese maßgeblichen Bilder, allein schon das immens potente Motiv im Auftakt.

Ich muss zugeben, dass der Film um das Bild mit dem Luftröhren-Schnitt herum entstanden ist. Das war die erste Idee: Da liegt diese Frau und kann nicht atmen, und dann kommt irgendeiner und haut ihr ein Messer in den Hals – und dann kann sie wieder atmen. Diese ganze Vorstellung: Wer ist das? Wo kommt die her? Wieso liegt die hier? Und zu sagen: Damit sie nicht stirbt, brauchen wir noch einen, also kommt jetzt eine weitere Figur und aha, da haben wir dann unser Liebespaar. Und dann die Fäden von dort aus zurückzuverfolgen, das war ein schöner Weg in die Geschichte hinein. Das ist ja ein Film, der sehr an seinem Plot entlang mäandert und nicht sehr stromlinienförmig gebaut ist. Er hat viele Verästelungen.

Als Zuschauer finde ich diese Freiheit aber auch sehr reizvoll.

Ich auch!

Es ist vielleicht der Film von Ihnen, zu dem ich am meisten zurückkehre. Weil man sich daran reiben kann.

Ja, wahrscheinlich ist er der Eigentümlichste: Ein bisschen undiszipliniert, auf eine angenehme Weise. Der nimmt sich halt für Dinge Zeit, und das traut man sich manchmal eben nur, wenn man skrupellos ist. Und das waren wir damals.

Sie haben schon die Zusammenarbeit mit Frank Griebe erwähnt: Die Sequenz im Guggenheim-Museum in "The International" ist atemberaubend. Und ähnlich wie das Bild mit dem Luftröhren-Schnitt in "Der Krieger und die Kaiserin" scheint es so, als habe sich diese Szene schon lange im Vorfeld herauskristallisiert. Wie haben Sie – in der engen Partnerschaft, die Sie beide haben – diese Schlüsselszene geplant?

Es war auf jeden Fall von Anfang an klar, dass dies die zentrale Herausforderung des Films wird. Es ist eigentlich oft so, dass es eine bestimmte Sequenz oder ein bestimmtes Kapitel gibt und man weiß: Das muss uns auf eine besondere Weise gelingen, weil es den Film entscheidend mitdefiniert.

Beim "Parfüm" war es ganz eindeutig der Schluss, also diese große Orgie. Das war etwas, wo man im Vorfeld sagt: Wie in Gottes Namen soll man das drehen? Das geht ja gar nicht – eigentlich. Und das war bei der Guggenheim-Sequenz ähnlich, denn das geht eigentlich auch nicht. Denn natürlich kann man nicht ins Guggenheim gehen, sich fünf Wochen einschließen und das Ding in Stücke schießen. Also muss man das bauen, denkt dann aber gleich wieder: Man kann doch nicht das Guggenheim bauen. Und dann haben wir festgestellt: Na ja, kann man vielleicht doch.

Der Anspruch, den wir an diese Sequenz haben, ist so hoch, dass ich den Film lieber nicht mache, bevor ich da einen Kompromiss eingehe. Dann sage ich lieber den ganzen Film ab. Das Schöne an dieser Sequenz ist für mich auch, dass sie nicht der Schluss des Films ist. Sondern es gibt noch einen klaren dritten Akt, und das ist etwas, was ich immer geliebt habe an der Konzeption des Drehbuchs. Es hat etwas von Hitchcocks "North by Northwest", bei dem beinahe jeder die Klimax des Films in der Szene mit dem Flugzeug im Maisfeld sieht.

Doch dann gibt es noch die Kletterpartie auf dem Mount Rushmore.

Ja, und nicht nur das. Dann gibt es noch die ganze Szene in dem Haus mit der vorgetäuschten Erschießung. Es gibt da noch tausend Sachen....

Etwa die Szene im UN-Gebäude...

Ja, es gibt noch wahnsinnig viele tolle Szenen, auf die man sich freuen kann. Und ich habe das schon als Jugendlicher geliebt, bei diesem Film insbesondere, dass man nach 80 Minuten das Gefühl hat: Mein Gott, was man schon alles gesehen hat! Und dann kriegt man diese sagenhafte Sequenz mit dem Flugzeug, die ja auch nicht damit endet, dass Cary Grant einfach davonkommt, sondern dass dieses Flugzeug auch noch aberwitzigerweise in einen Tanklaster fliegt und explodiert. Wahnsinn.

Ja, es ist völlig over the top...

Stimmt, aber dieses Over the top ist ja genau das Element, von dem ich glaube: Das ist der Moment, wo man als Zuschauer sowohl dem Plot folgt, aber zugleich der Versuchung der Filmemacher miterliegt.

Absolut.

Es geht darum, sich auf einen bestimmten Irrwitz der Situation einzulassen. Dadurch entsteht eine Grauzone, in der mehr möglich und erlaubt ist. Und das hat Hitchcock natürlich immer großartig orchestriert. Er hat die Tür so weit aufgemacht, dass man gesagt hat: So, jetzt darf alles passieren, weil es macht einfach so viel Spaß. Das ist so lustvoll, dass die Logik durchaus für einen Moment aussetzen darf.

Man darf sie quasi suspendieren...

Das muss aber immer genau proportioniert werden. Und die Guggenheim-Sequenz war da ein typischer Fall: Du musst das Setup klar strukturieren, so dass Du das Gefühl hast, es gibt wirklich einen Überblick über die Räumlichkeiten und eine richtige geografische Zuordnung. Was bei dem Ort übrigens sauschwer ist, denn er ist sehr schwer zu fotografieren. Und dann kann man sozusagen die Schraube anziehen und den Wahnsinn auf eine bestimmte Weise beschleunigen. Gut, manche Leute haben das nicht mitgemacht, aber das ist mir auch egal. Ich mag das.

Was ich immer wieder faszinierend finde, ist die Begeisterung für Ästhetik, Technik und auch Geschichte des Mediums, die Sie in Ihren Filmen transportieren. Und zwar ohne dass dies als eine Art eitle Selbstreferenz wirken würde, sondern immer aus dem konkreten Film heraus argumentiert.

Das ist ein großes Anliegen, und ich finde es schön, wenn Sie das so sehen. Ich bin wirklich nicht interessiert an einer eklektischen Filmsprache, die einfach nur alles benutzt, was gerade en vogue ist. Ich finde es sehr wichtig, dass sich die Sprache des Films aus den Figuren und ihren Emotionen generiert. Das man sie sozusagen ableitet aus einer bestimmten Energie, welche die Figuren ausstrahlen. Und die in zweiter Linie meinetwegen noch dem jeweiligen Genre geschuldet ist. Aber in Wahrheit ist es so, dass "Lola rennt" ein hysterischer Film ist, weil die Figur der Lola hysterisch ist; dass "Der Krieger und die Kaiserin" eher ein melancholischer – und, wenn man so will, fast meditativ verlangsamter – Film ist, eben weil diese Figur so eine Zeitlupenpersönlichkeit ist. Und so weiter und so fort. Deshalb kann man sagen: Diese fiebrige und doch konzentrierte Energie, die wir in "The International" erreichen wollten, die letztlich alle Ideen leitet und Entscheidungen quasi vorformt, kommt maßgeblich von der Figur des Ermittlers. Ihrer Nervosität und potentiellen Aggressivität , aber auch dieser sehr konzentrierten Fokussierung, mit der sie diesen Fall angeht. Und ich wollte, dass alle Entscheidungen, die wir als Filmemacher treffen, sich dem zumindest partiell unterordnen.

Es geht darum, den Grundtenor der Figur einzuzitieren.

Ja, genau.
Ihnen geht es stets auch um die physische Qualität des Kinos. Das wird deutlich, wenn sie wie zuletzt auf der Berlinale ein öffentliches Gespräch über den 70mm-Film führen. Dennoch betreiben Sie keineswegs Formalismus oder Eklektizismus der Art: "Ich zitiere mich jetzt einfach mal durch die Konzepte der letzten 50 Jahre Filmgeschichte." Stattdessen entdeckt man in Ihren Filmen eine Intimität zu den Figuren, die sich auch den Zuschauern öffnet. Ist diese besondere Haltung, diese Selbstverständlichkeit im Erzählen, auch durch die enge Partnerschaft mit Ihren Mitarbeitern bedingt?

Ich gehe fest davon aus. Ich glaube, dass die langen Partnerschaften abfärben auf die Genauigkeit, mit der man versucht, bestimmte Sachen zum Ausdruck zu bringen. Und dass diese Genauigkeit nicht immer von mir alleine gefunden wird. Sondern die wird auch von den Anderen gefunden, die sie mir dann zeigen. Ich habe in der Regel einen starken Instinkt, aber man ganz klar sagen, dass auch Frank Griebe jemand ist, der einen durchaus dazu anhalten kann, diszipliniert und ökonomisch zu erzählen und sich nicht zu verzetteln. Wir wollten wirklich einen Film machen, der Präzision ausstrahlt und nicht fuchtelig wirkt. Der auch nicht so wirkt, als würde er mal schnell über etwas hinweghuschen. Sondern alles, was er sich vornimmt, mit möglichst akkurater Haltung untersucht.

Es ist, wie die Hauptfiguren, ein sehr determinierter Film.

Das macht ihn vielleicht auch ein wenig enger als andere Filme. Aber das war hier auch das Experiment, die Herausforderung. Und für mich eine neue Erfahrung.

 

Rights statement