Don Juan, Karl-Liebknecht-Str. 78

DDR 1979/1980 Spielfilm

Mancherlei Zwiespältigkeiten



Günter Agde, Filmspiegel, Berlin/DDR, Nr. 18, 1980




Der gestalterische Wille des Autor-Regisseurs Siegfried Kühn ist nicht zu übersehen. Mindestens seine Filme "Die Wahlverwandtschaften" (nach Goethe) und "Platow" (Autor Helmut Baierl) weisen das aus. Sein neuer Film "Don Juan, Karl-Liebknecht-Str. 78" schiebt sich noch weiter nach oben, weil Ausdruckskraft und Wille zur optischen Gestaltung expressiver, leidenschaftlicher, auch raffinierter werden (z. B. in der farblich-dekorativen Komposition mancher Bilder). Ganz offenbar haben das Grundmuster und die Urbild-Figur seiner Geschichte Kühn fasziniert und weitergedrängt. Das Mozartsche Rokoko-Filigran des "Don Giovanni" trieb den Adapteur Kühn in barocke Wuchtigkeit und Fülle. Denn Kühn legt diese wunderbare Oper Mozarts wie eine Folie um seine Hauptfigur, den Opernregisseur Wischnewsky, der selbst so eine Art Don Juan ist, derzeit gerade diese Oper an einem DDR-Stadttheater inszeniert und allerlei disparate Beziehungen zu verschiedenen Frauen hat. Hier enden freilich schon die möglichen Ähnlichkeiten, denn Mozarts Figur war – für ihre Zeit – von großer gesellschaftlicher Relevanz, während Kühns Mann und dessen Versuch, aus "seinem Teufelskreis herauszugelangen" (Kühn), zu klein, zu nebensächlich entworfen wird. Und vor allem: die durchgehende Sicht der Story erfolgt mit Wischnewskys Augen. So muß der folgerichtig im tragischen (heutzutage freilich eher tragikomischen) Irrtum über die Ursachen seines Scheiterns befangenbleiben. Sein Egoismus und seine Hähnchen-Eitelkeit "erschweren" ihm nicht nur seine Liebschaften, sondern verstellen ihm auch eine klare Sicht auf diese und auf sich. Wer will, kann die Geschichte auch so sehen: Da verlischt einer, der nicht wahrnimmt, daß Frauen selbstbewußte und eigenständige Persönlichkeiten sind. Das Ganze eben in mehrfacher Verschränkung mit Probenarbeit und mit der Mozart-Oper.


Insgesamt als ein bißchen sehr bemüht und hergeholt, empfinde ich den Gesamtbau des Films. Auch bleibt dies nicht uninteressante Thema zu sehr und ziemlich streng auf einen (kleinen) Ausschnitt aus der Gesellschaft begrenzt und wird zudem von der opulenten Attraktivität dieses Ausschnittes glanzvoll überdeckt. Denn das wirkt stark (und macht einen Gutteil von Kühns gewachsenem Hang nach Expressivität aus): alle Szenen der Inszenierungsarbeit Wischnewskys, die Bilder der Oper selbst, die ausgezeichnete musikalische Ausfertigung – das ist mit nahezu überquellendem Reichtum an Mitteln, Hinfallen, Kamerasichten und Dekorativem, mit prächtigem Einsatz der Schauspieler, vor allem der beiden polnischen Gäste Ewa Szykulska und Beata Tyszkiewicz sowie Hilmar Thate und Helmut Straßburger gemacht, daß es eine wahre Freude am Zusehen und Zuhören ist. Wenn man nur das nehmen könnte – ohne Handlung, Thema und Anliegen, wenn man Kühns Story von seinen direkten Mozart-Darbietungen trennen könnte, wäre es hinreißend. Aber das geht nicht, das kann und darf keiner. Und der Film war ja wohl auch zum gegenteiligen Zwecke gemacht. Mancherlei Zwiespältigkeiten also.

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