Der verlorene Schatten
Der verlorene Schatten
Willy Haas, Film-Kurier, Nr. 30, 4.2.1921
Wegeners Maske war merkwürdig: von vorne glich sie Beethoven; von der Seite gesehen, glaubte man sekundenweise den Kopf des Bürgermeisters Meyer aus dem berühmten Basler Altarbild des jüngeren Holbein zu erblicken . . . Das ist ein deutsches Doppelgesicht. Und, über diese bezaubernde, würzige Bildreihe, die hier zu einem Film zusammengeschlossen ist – welches soll das erste Wort der Freude, des Lobes und der Dankbarkeit sein, das wir über ihn aussprechen wollen? Doch wohl, daß es ein deutsches Kunstwerk ist. An dem geheimnisvollen Manne, der seinen Schatten oder sein Spiegelbild dem Bösen verkauft, hängt die Phantasie dieser Nation mit einer Zähigkeit, die geheimnisvoll ist. Dieser Stoff ist so germanisch, wie die Vorstellung vom "Leben als Traum" romanisch ist; mag immer ein Calderön gelegentlich jenen faustischen, ein Shakespeare diesen erzkatholischen, barocken Gedankenkreis gestreift haben. Denn der Mann, der seinen Schatten verkauft, ist ganz einfach der Deutsche. Der Schatten ist das Festumrissene, die Kontur, die Begrenzung des Menschen. Und deutsch, zehnfach deutsch, im edelsten Sinne, ist das Schweifende, maßlos Begehrende, Sehnsüchtige, Ahnungsvolle, Ungenügsame – – ist die Angst, aus sich selbst zu treten, den Umriß, sich selbst zu verlieren. Nur der Deutsche konnte diese Angst in sich zum Begriff der Todsünde großziehen – zum Pakt mit "dem Bösen". Das ist Faust so gut, wie Peter Schlemihl oder E.Th.A. Hoffmanns Mann ohne Spiegelbild. Und nur der Deutsche konnte andrerseits wieder dieser chaotischen Grenzenlosigkeit die nüchterne, mikrokosmische, strenge, fast kalte Umrissenheit einer Holbeinschen oder Cranachschen Zeichnung entgegensetzen.
Und hier ist Wegeners wundervoller Doppelkopf. Von vorne diese maßlos zerfurchte, breite, offene Physiognomie, dem Grenzenlosesten alles Grenzenlosen, der Musik, weit aufgetan. Von der Seite aber altväterlich, eingezogen, bescheiden, patrizisch, holbeinisch: als suchte das Profil das Enfacebild vor Gott zu entschuldigen.
Und dieser Kopf ist zugleich dieser Film – der bezaubernd ist. Als ob deutsche Erde atmete, einen herben Duft von einfacher Liebe, und einen süßen, von verwirrenden Träumen: das wird niemand verstehen, der nicht Eichendorff versteht. So, wie niemand einen Franzosen verstehen wird, der nicht Voltaire versteht – ganz genau so. (...)
Über die Regie ist nach all dem kaum noch etwas zu sagen. Überhaupt – die besten Filme sind immer die, wo man zugleich über die Regie spricht, wenn man über das Manuskript spricht – weil man gar nicht weiß, wo das Manuskript aufhört und die Regie beginnt. Das ist sogar, irre ich nicht, der wesentliche Unterschied zwischen der Beziehung Bühnendrama-Bühnenregie und Filmdrama-Filmregie. Ein gutes Filmmanuskript ist nichts als angefangene Regie. Ein gutes Drama ist etwas ganz anderes. Eine gute Filmregie ist nichts als weitergedichtetes Manuskript. Es wäre ein grober Irrtum, dasselbe schlechtweg von der Bühnenregie zu behaupten. Hier ist das Manuskript von Paul Wegener. Der Regisseur heißt Rochus Gliese. Schon der Name ist beinahe das weitergedichtete Manuskript des "Verlorenen Schattens". Die Regie ganz bestimmt.
Neben Wegener ist noch Lyda Salmonova zu nennen: von einer liebenswürdigen Frauenhaftigkeit ohnegleichen. Das ist sehr schwer, so eine Märchengräfin zu spielen, ganz einfach eine "Märchengräfin" – ohne alle psychologischen oder dramatischen Akzente. Ich denke mir"s wenigstens überaus schwer; und es gehört wohl diese ganz edle und feine Liebenswürdigkeit und Zurückhaltung einer außerordentlichen Künstlerin dazu. Sturm war bildhaft sehr stark als welscher Schattenspieler. Aber auch die übrigen drei oder vier waren eigentlich auf jenem allerhöchsten Niveau, das das Niveau des Filmes ist.
Jetzt aber noch einen Augenblick Aufmerksamkeit: denn es kommt noch die Photographie. Sie ist von Karl Freund – und mit einer Meisterhaftigkeit, Klarheit, Körperlichkeit und Feinheit ausgeführt, die nur dieser unerreichte Künstler der deutschen Photographie zustandebringt. Die reizende Trickaufnahme bei der Erzählung des Sebaldus sei als pikantes Novum angemerkt.