Summary
Exile
First, there’s a dead rat hanging on the door of the house where Xhafer lives with his wife and children. Then the emails he sends are 'accidentally' no longer being received. The signs that this pharmaceutical engineer is being bullied and harassed in his workplace are increasing. Even if neither his wife nor his colleagues seem to believe him, this man, who is originally from Kosovo but who has been well integrated for years, feels more and more outcast from his (German) community. Or is he losing touch with reality?
In his second feature-length film, director Visar Morina dissects the psychological effects of social exclusion and presents them here as an interplay between belonging and alienation. Morina combines subtle images that gradually shift according to his protagonist’s state with meticulous performances from his ensemble, to describe the importance of personality when it comes to integrating into another society, and how quickly cracks can develop in the supposedly firm construct that is identity.
Source: 70. Internationale Filmfestspiele Berlin (Catalogue)
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Wie der Regisseur ist seine Hauptfigur Xhafer im Kosovo geboren – und in Deutschland angekommen. Beruflich und privat. Doch nun wartet der Pharmaingenieur schon seit zwanzig Minuten in dem von langen, kafkaesk wirkenden Fluren durchzogenen Bürotrakt auf den Beginn einer Bereichssitzung, auf der er seinem Projektleiter Winkler und dem ganzen Team sein Exposé vorstellen soll. Doch die hat längst begonnen – in einem anderen Raum. War es nur ein Versehen, dass ihn der Kollege Urs nicht über die Verlegung informiert hat?
Schon bald beschleicht Xhafer das Gefühl, diskriminiert und schikaniert zu werden: Warum erhält sein Bürokollege Manfred eine Einladung zu einem geselligen Ausflug und er nicht? Sein Argwohn wird noch verstärkt, als eine tote Ratte an seinem Gartentor hängt: hatte er doch bei seinem Einstellungsgespräch mit dem Unternehmenschef Koch eingeräumt, eine Phobie gegen diese Labortiere zu haben. Doch das liegt bereits drei Jahre zurück.
Weshalb seine Frau Nora mit Unverständnis darauf reagiert, dass für Xhafer fortan jedes Ereignis, jedes Wort, jede Geste zu einem Anhaltspunkt, gar zu einem Beweis für seine These, er werde aus rassistischen Gründen gemobbt, wird. Nimmt sie als Biodeutsche die Vorfälle allzu sehr auf die leichte Schulter, hat sie kein Empfinden für seine Empfindlichkeit? Geht sie gar fremd, weil einmal daheim der Klodeckel hochgeklappt war?
„Du weißt doch gar nicht, was es heißt ein Fremder zu sein, in diesem möchtegern-kultivierten und zutiefst verlogenen Land“ wirft er ihr vor und will für ein Jahr in den Kosovo gehen. Was Nora kategorisch ablehnt. Es scheint so, dass Xhafer allein bei der aus Albanien stammenden Putzfrau Hatiqe auf - stummes - Einverständnis bauen kann. Weil er ihre Sprache spricht, übersetzt er für sie amtliche Papiere - im Gegenzug für schnellen Sex auf der Toilette.
Als Urs ihm in öffentlicher Sitzung Fehler vorwirft, die nur durch dessen offensichtliche Verweigerungshaltung passieren konnten, sein Kinderwagen in der Hauseinfahrt durch Knallkörper in Brand gesetzt wird und plötzlich sein Briefkasten voller Rattenkadaver steckt, brennen bei Xhafer alle Sicherungen durch – und er geht zum Gegenangriff über. Als Urs sich daraufhin in der Firma erhängt, verliert er Arbeit und Familie: Nora zieht mit den Kindern zu ihrer Mutter (Corinna Kirchhof), welche den ausländischen Schwiegersohn weder akzeptiert noch gar gemocht hat. Kurz darauf erhält Xhafer Besuch von einer regelrecht erleichterten Witwe: Seitdem er im Betrieb die Position ihres Gatten Urs übernommen habe, sei dieser nur noch unerträglich gewesen: „Sein Selbstmord war das Originellste, was er seit Jahren gemacht hat.“ Am Ende bemüht sich Xhafer, doch noch auf Schwiegermutters 70. Geburtstag zu erscheinen…
„Exil“ ist, wenn man sich auf den verhaltenen Beginn des zweistündigen Thrillers über Paranoia und Identität eingelassen hat, faszinierendes Genrekino. Auch durch die ungewöhnlichen Perspektiven Matteo Coccos, dessen Kamera stets nahe bei Xhafer bleibt. Visar Morina, 1979 in Prishtinë geboren, hat für seinen am 27. Januar 2020 beim Sundance Festival in den USA uraufgeführten zweiten Langfilm nach „Babai“ eine ideale Besetzung gefunden.
„Exil“ ist vor allem der Film Mišel Maticevics, der nach Serien-Erfolgen wie „Babylon Berlin“ und „Dogs of Berlin“ mit dem Rollen-Etikett „Gangster, Ficker, Macho“ versehen worden ist. Dabei hat der als Kind jugoslawischer Gastarbeiter 1970 in Berlin geborene Absolvent der „Konrad Wolf“-Hochschule zuvor schon mehrfach in Filmen von Dominik Graf bewiesen, dass er auch anders kann. Auch für Maticevic ist „Exil“ eine Begegnung mit der eigenen Biographie: „Ich trage eine Zerrissenheit in mir. Als Kind hatte ich in Berlin das Gefühl, nur Gast zu sein“ verriet er Ulf Lippitz im „Tagesspiegel“-Gespräch (6. September 2020): „Aber heute denke ich, ach, komm, vergiss das Thema. Ich habe damit meinen Frieden geschlossen. Ich sage stolz: Ich bin ein Gastarbeiterkind.“
Pitt Herrmann