Summary
The episodic feature film focuses on the life and work of Rainer Werner Fassbinder, who polarised both professionally and privately, and who is undoubtedly Germany's most important filmmaker of the last 50 years. In stylised, theatrical settings the film shows Fassbinder's genius, the harassment to which he exposed his environment not only through his work frenzy, and the search for love that drove him throughout his life. Director Oskar Roehler aesthetically adapts his biopic to Fassbinder's universe.
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„Ich gehöre niemandem“: Der charismatische Workaholic, der bald auch eigene Stücke wie „Katzelmacher“ und „Preparadise sorry now“ am Münchner Action-Theater herausbringt, aber auch Klassiker wie Goethes „Iphigenie auf Tauris“ oder „Ajax“ nach Sophokles inszeniert, schart bald ein ganzes Team aus Schauspielern und zumeist männlichen Liebhabern um sich. Darunter Hanna Schygulla, Irm Hermann, Ingrid Caven, Peer Raben, Charly Brocksieper, Reinhold Gruber, Kurt Raab und, als Schauspieler und Co-Autor, Harry Baer. Wenig später kommen Brigitte Janner, Margit Carstensen und Hans Hirschmüller hinzu – und Peer Raben wechselt häufiger auf den Regie-Sessel, so bei „Das Kaffeehaus“, „Werwolf“, „Das brennende Dorf“ und „Blut am Hals der Katze“. Die antiteater-Truppe inszeniert da bereits in Bremen, Berlin, Darmstadt und Nürnberg.
Früh befasst sich Fassbinder parallel mit dem Medium Film. Nach kleineren Arbeiten wie „Der Stadtstreicher“ und „Das kleine Chaos“ dreht er mit seinem antiteater-Ensemble 1969 seinen ersten großen Spielfilm: „Liebe ist kälter als der Tod“ mit Hanna Schygulla und Ulli Lommel. Die Uraufführung Ende Juni 1969 auf der Berlinale gerät zu einem handfesten Skandal, durch den sich der allseits geschmähte Regisseur jedoch nicht beeindrucken lässt: Noch im gleichen Jahr dreht er mit „Katzelmacher“, „Götter der Pest“ und „Warum läuft Herr R. Amok?“ drei weitere Filme. Letzterer mit Kurt Raab in der Titelrolle, eine Koproduktion mit dem Süddeutschen Rundfunk, feiert Ende Juni 1970 Premiere auf der Berlinale. Vielleicht lags an den Kurzauftritten befreundeter Regisseure wie Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta und Reinhard Hauff: RWF wird als Theater- und Filmemacher ernst genommen.
Für seinen aktuellen Lover Günther Kaufmann dreht er 1970 „Whity“, eine im 19. Jahrhundert im Wilden Westen spielende Sklaven-Tragödie. Immer wieder sucht sich Fassbinder sexuelle Triebabfuhr im Stricher-Milieu, eine demütigende Erfahrung für alle seine Liebhaber im Team. Der verheiratete Kaufmann hatte sogar seine Familie aufgegeben, um mit RWF leben – und drehen – zu können. „Ich provoziere ganz gerne, sonst rührt sich nichts“: Während für Bertolt Brecht ein halbes Dutzend Frauen schufteten, beutete Fassbinder seine Männer aus – als Ko-Autoren, Ko-Regisseure, sogar als Kameraleute. Sämtlich Fußabtreter für das Genie, aber die Frauen kamen kaum besser weg. Dafür wurden sie freilich mit Ehrungen und Preisen belohnt wie Margit Carstensen in „Martha“ und „Angst vor der Angst“, Hanna Schygulla in „Die Ehe der Maria Braun“ und „Lili Marleen“, Barbara Sukowa in „Lola“ oder Rosel Zech in „Die Sehnsucht der Veronika Voss“.
Ein auch von Oskar Roehler herausgestellter Sonderfall ist der 1974 uraufgeführte Spielfilm „Angst essen Seele auf“. Ed Hedi ben Salem, der aus Liebe zu Fassbinder sogar sein Kind aus Marokko nach Deutschland entführt hat, spielt die Hauptrolle des Gastarbeiters Ali an der Seite des Ufa-Stars Brigitte Mira. Die hier nicht zufällig kongenial von Eva Mattes verkörpert wird: in Fassbinders Leinwand-Adaption des 1971 in Dortmund uraufgeführten Sozialdramas „Wildwechsel“ von Franz Xaver Kroetz reüssierte Eva Mattes als vierzehnjähriges Mädchen und wurde mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Bei der Uraufführung in Cannes 1974 gefeiert bedeutete „Angst essen Seele auf“ der internationale Durchbruch eines an der Croisette zu Tränen gerührten Fassbinder. Nicht nur in diesem Fall schließt sich ein Kreis in Roehlers bemerkenswertem, in den mit naturalistischer Drastik offenbarten selbstzerstörerischen Sex-, Alkohol- und Drogen-Exzessen geradezu unter die Haut gehenden Biopic.
Im gleichen Jahr hat Fassbinder die Intendanz des „Theater am Turm“ in Frankfurt/Main übernommen. Als er sein Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ uraufführen will, kommt es nach Protesten der Jüdischen Gemeinde zum Skandal, die Proben müssen abgebrochen werden. Fassbinder und sein Team (noch zu nennen Katja Riemann, Felix Hellmann, Desiree Nick, Harry Prinz und Jochen Schropp) kehren in die Münchner Szene zurück und widmet sich fortan nur noch dem Film. Welterfolge wie „Die Ehe der Maria Braun“, 1978 in Cannes und 1979 auf der Berlinale umjubelt, „Lili Marleen“ und „Die Sehnsucht der Veronika Voss“, Goldener Bär 1982 auf der Berlinale mit Rosel Zech, mehren seinen Ruhm auch in Hollywood, es kommt zu einer Begegnung mit Andy Warhol. Aber die seelische wie körperliche Selbstausbeutung fordert ihren Preis: „Querelle“, im August 1982 in Venedig uraufgeführt, ist Fassbinders letzter Film – in dem Leben und Kunst nahtlos ineinander übergehen. Im Alter von 36 Jahren stirbt RWF an einer Überdosis in seiner Münchner Wohnung.
„Enfant Terrible“ ist eine mit 134 Minuten überlange große Verbeugung des Regisseurs Oskar Roehler vor dem ikonischen Genie Rainer Werner Fassbinder. Mit einer kunstvollen Farb- und Lichtdramaturgie und außergewöhnlichen Bühnen-Kulissen nähern sich Roehler und sein Kameramann Carl-Friedrich Koschnick dem Fassbinderschen Universum chronologisch. Episodenhaft erzählt der Film vom genialen Theater- und Film-Regisseur, der im übrigen an authentischen Bildern in langen Einstellungen ohne Schnitte experimentierte, über den verzweifelt nach Liebe Suchenden bis hin zum unerbittlichen Dompteur seiner Truppe. Dabei kann Roehler sich voll und ganz auf seinen charismatischen Hauptdarsteller verlassen: Oliver Masucci scheint eins zu sein mit seiner Figur. Dabei kann, viel vielfach behauptet, von physiognomischer Ähnlichkeit nicht wirklich die Rede sein. Masucci verkörpert einen genialischen Künstler mit all' seinen Macken und Schwächen, aber auch mit seinen guten Seiten, wie eine Episode mit André Hennicke offenbart.
Pitt Herrmann