Rauhreif

DDR 1963 TV-Spielfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Sturmgepeitschte Landschaft Oderbruch. Die erste Frostluft hat das Bauernland mit Rauhreif überzogen. Nach fünfzehn Jahren kehrt Thomas Rothardt (Armin Mueller-Stahl) in sein Heimatdorf zurück – auf einer inzwischen asphaltierten Straße.

Rückblende. Durch schlammige, vom Regen aufgeweichte Wege und durch große Pfützen bahnt sich ein Wartburg den gleichen Weg. Thomas sucht nach einem Jahr erstmals seinen Vater, den erfolgreichen LPG-Vorsitzenden Rothardt (Martin Flörchinger) auf. Dem genügt ein Trabi, raunen sich dessen Leute auf der Höhe zu. Thomas sieht schlecht aus, erkennt seine Mutter (Manja Behrens). Doch auch daheim muss sich der Ratsuchende einiges anhören: „Mit dreißig ist man ein Kerl“, postuliert sein Vater, „oder man wird nie einer.“

„Er ist flügge und hat das Nest verlassen, das ist der Lauf der Welt“ kommentierte sein Vater, als Thomas die Vorzeige-Genossenschaft auf der Höhe verließ, weil er vom 1. Kreissekretär der SED (Wilhelm Koch-Hoge) als Stellvertreter von Braune (Walter Richter-Reinick), der bis Kriegsende Inspektor eines großen Gutes jenseits der Oder war, in eine problematische LPG ins Bruch delegiert worden war. Zusammen mit seiner Frau Anne (Annekathrin Bürger), die dort eine Teilzeit-Stelle als Lehrerin erhielt. „Alles ist unser, der Bruch und die Höhen“ verteidigt der Parteifunktionär seine Entscheidung, welche das Konkurrenzverhalten unter den Genossenschaften brechen und die Solidarität untereinander fördern soll.

„Bist uns einfach auf den Hals geschickt worden“ klagt dagegen der LPG-Vorsitzende Braune und lässt kein gutes Haar am Vater seines frischgebackenen Stellvertreters: „Ein Diktator, ein Mann, der über Leichen geht.“ Beim alten Rothardt, Kommunist und Widerstandskämpfer gegen die Hitler-Barbarei, dem seine starke Gattin über die harte Zeit im Gefängnis geholfen hat, war der Weg klar vorgezeichnet bis hin zum Vorsitzenden einer der erfolgreichsten Genossenschaften landesweit, der sogar persönlich dem Zentralkomitee der SED in Berlin berichten durfte.

In der Niederung des nun die Grenze zwischen Polen und der DDR markierenden Flusses Oder ist Anne, die der Umzug in die Ebene zunächst von den Zumutungen des rücksichtslosen Schwiegervaters befreite, aber auch nicht glücklich geworden. Sie will in die Stadt zurück, in der sie Thomas zu Studienzeiten kennenlernte, weil sie Ablehnung und Spott, gar offene Feindschaft der Bauern nicht länger ertragen kann: „Das hier ist wie eine verlorene Schlacht“ zieht Anne ein bitteres Resümee aller Bemühungen von Thomas, die sich der Kollektivierung der Landwirtschaft widersetzenden Bauern unter einen Hut zu bekommen und dazu noch die ehemaligen Tagelöhner zu überdurchschnittlichen Anstrengungen zu motivieren.

„Arbeiter- und Bauernmacht heißt für die, dass der Arbeiter dem Bauern die Arbeit macht“ klagt Thomas, der mit Leuten den Sozialismus aufbauen soll, die lieber ihr eigenes Land bestellen als das der Gemeinschaft. Und die den im Frühjahr 1960 begonnenen Weg der Umwandlung einst selbständiger Betriebe in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) nach dem Vorbild der sowjetischen Kolchosen nicht mitzugehen bereit sind. Wie der Schweinemeister Lietz (Erhard Köster), den angeblich der Ischias-Nerv plagt. Oder Anton (Werner Möhring), der früher jenseits der Oder unter Braune gearbeitet hat und nun beim Rinderpfleger (Willi Neuenhahn) nur das Nötigste tut, um sein Auto abbezahlen zu können.

Ausgerechnet ein Gespräch mit dem Kraftfahrer Erwin Herzmann (Horst Weinheimer), der sich seinen Zynismus zugelegt hat wie eine Regenhaut, von der alles abtropft, lässt Anne noch einmal ihre Entscheidung überdenken: Der leidenschaftliche „Panzermann“ wurde aus der Armee entlassen, weil seine Geschwister in den Westen ‘rübergemacht haben: Sippenhaft nennt man das. Naturgemäß ist der geschasste Leutnant nicht sonderlich motiviert in seinem neuen Job und animiert Anne nicht gerade, ihren ungeliebten Schwiegervater um Hilfe zu bitten, indem er feststellt: „In unserer Genossenschaft ist kein Blumentopf zu gewinnen.“

Anne sieht ihre Verantwortung als Lehrerin in neuem Licht. Nach ihrem Gang nach Canossa greift ihr Schwiegervater mit Hilfe des Kreissekretärs hart durch. Mit dabei sein Schweinemeister Kersten (Günter Naumann), der den Lietzschen Stall gründlich ausmisten soll, und die Geflügelzüchterin Franka (Gertraud Kreißig), unterstützt zudem von der engagierten LPG-Sekretärin Ella (Renate Richter). Disziplin, Ordnung, Sauberkeit – da gibt es überall Nachholbedarf, was dem Vorsitzenden Braune naturgemäß überhaupt nicht passt. Doch als die Ferkelmortalität entscheidend zurückgeht, die Produktivität in allen Bereichen wieder steigt, genesen die Hypochonder, lassen sich die bislang Unwilligen nicht länger von der Wirtin (Christine Fischer) besoffen machen - und die Desillusionierten wie Erwin Herzmann fassen neuen Mut, zumal Letzterer Gefallen an Franka findet, die ihre Bereitschaft signalisiert, im Bruch zu bleiben...

„Rauhreif” basiert auf dem gleichnamigen, im Januar 1963 gesendeten Hörspiel von Bernhard Seeger. Sein Szenarium war Grundlage des Films von Hans-Erich Korbschmitt, der aus marxistisch-leninistischer Sicht die Probleme der Zwangskollektivierung der DDR-Landwirtschaft nach sowjetischem Vorbild offenbart. Bei aller ideologischer Schwarz-Weiß-Malerei werden aber auch Widersprüche eines sich demokratisch nennenden sozialistischen Staates thematisiert, etwa die hier auch zwei Jahre nach dem Mauerbau durchaus noch als Warnung zu verstehende ganz selbstverständliche Sippenhaft des NVA-Offiziers. Dass der finale Ausblick optimistisch ausfällt zu vom Erzähler Gerry Wolff poetisch unterlegten Landschaftsaufnahmen des Kameramannes Otto Hanisch, ist zumindest 1963 keine Überraschung. Noch ist der ökonomische Wettbewerb der Systeme beiderseits der innerdeutschen Grenze nicht entschieden.

Pitt Herrmann


Credits

Alle Credits

Titel

  • Originaltitel (DD) Rauhreif

Fassungen

Original

Länge:
2541 m, 89 min
Format:
35mm, 1:1.33
Bild/Ton:
s/w
Aufführung:

TV-Erstsendung (DD): 15.09.1963, DFF