Inhalt
Es ist nicht irgendeine Partei, zu deren Innenleben uns hier Zugang verschafft wird. Die rechtsgerichtete "Alternative für Deutschland" ist seit 2017 im Parlament vertreten. In manchen Teilen Deutschlands wählt sie jede vierte Person, eine breite Öffentlichkeit stuft sie als antidemokratisch und rassistisch ein. Zwei ihrer Teilorganisationen, die "Junge Alternative" (JA) und der sogenannte "Flügel", wurden vom Verfassungsschutz als rechtsextremistische Verdachtsfälle eingeordnet.
Simon Brückner und sein Zwei-Mann-Team begleiteten zahlreiche AfD-Politiker*innen zwischen 2019 und 2021 mit der Kamera: Er führt keine Interviews, kommentiert nicht, mischt sich nicht ein. Er beobachtet die Arbeit von Funktionären auf drei Ebenen – Bezirk, Land und Bund. Er hört zu: bei "JA"-Auftritten in Zehdenick, wo sich märkischer Sand auf Heimatland reimt und die Hymne auf die Playlist kommt; bei Richtungskämpfen und Diskussionen in der Fraktion über das Grundgesetz und darüber, was sagbar ist und was nicht. Die deutsche Partei wird weder vorgeführt noch dämonisiert. Sie spricht von "deutschen Schmetterlingen" und von sich selbst – es ist ein Akt der Dekonstruktion, der deutlich macht, wo die Widersprüche beginnen und das Argument endet.
Quelle: 72. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
Kommentare
Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!
Jetzt anmelden oder registrieren und Kommentar schreiben.
Solche Allianzen sind zwei Politikern ein Dorn im Auge, die Simon Brückners Zweier-Team diesen erstaunlich intimen Einblick in das Innenleben der am 6. Februar 2013 in Berlin gegründeten Partei „Alternative für Deutschland“ ermöglicht haben: Georg Pazderski, bis 2021 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, der den Einzug in den Bundestag durch das schlechte Abschneiden der AfD in Berlin verpasste, und sein einstiger Berliner Fraktionskollege Frank-Christian Hansch. Beide sind Protagonisten des liberalen Flügels der Partei, Pazderski gilt als Stratege des „Berliner Kurs“ genannten Versuchs einer koalitionsfähigen Politik der rechten Mitte.
Der in sechs sich nicht wirklich thematisch unterscheidende Kapitel aufgeteilte Dokumentarfilm „Eine deutsche Partei“ taucht gut einhundert Minuten lang ein in das Arbeitsleben der Politiker und Funktionäre der AfD. In der Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses geht es etwa anlässlich des Grundgesetz-Jubiläums um die Frage, ob dessen erste zentrale Paragraphen samt der Deutschlandfahne in Schulen und Klassenzimmern Einzug halten sollen. Auch vor dem Hintergrund, bei der erwarteten Ablehnung des Antrags das „dekadente Establishment“ einmal mehr als unpatriotisch vorführen zu können.
Während in der Bezirksfraktion Berlin-Neukölln um die „Rückführung der Parallelgesellschaften“ diskutiert wird, geht es bei einem Festakt zum 30. Jahrestag des Mauerfalls um die Idee der Gleichheit, die als Illusion des Egalitarismus entlarvt wird. Und in einem brandenburgischen Waldstück wird gegen den Bau von 18 Windrädern demonstriert – mit Argumenten der Umweltschützer. Nicht immer gelingt es Simon Brückner, live dabei zu sein. Als strategische Fragen besprochen werden sollen, sorgt Bundessprecher Tino Chrupalla für einen Abbruch.
Selbstentlarvend sind Wahlkampfauftritte etwa mit dem rechtsextremen „Flügel“-Politiker Andreas Kalbitz auf dem Marktplatz von Zehdenick an der Havel oder mit der Jungen Alternative in Cottbus sowie ein abendliches Happening in Erfurt und ein Autocorso in Berlin gegen die Corona-Politik. Von der misslungenen Spendenaktion für die Flutopfer im Ahrtal ganz zu schweigen: die Eigendynamiken der AfD, ihre Ressentiments, Ideenwelten und Selbstinszenierungen sprechen für sich, bedürfen keines Kommentars. Parteitage bestätigen den immer stärkeren Einfluss des rechtsextremistischen „Flügels“ um Björn Höcke und die Niederlagen der moderaten Kräfte um einen zunehmend desillusionierten Georg Pazderski.
Regisseur Simon Brückner kam seinen Protagonisten so nah, wie es Journalisten in der alltäglichen Berichterstattung nicht möglich ist. Der Film, dessen Recherchen bereits 2017 begonnen haben, kommt ohne Interviews und Kommentare aus. Er ist in knapp dreijähriger Drehzeit zwischen 2019 und 2021 entstanden. Und, wie ein Sprecher der Verleihfirma Majestic im delphiLux bekundete, erst im Februar 2022 fertiggestellt worden – zwei Tage vor der Berlinale-Pressevorführung: Der Rücktritt des Europaparlamentariers Jörg Meuthen als Bundessprecher der Partei am 28. Januar 2022 und sein gleichzeitiger Austritt aus der AfD setzen einen auch für den Filmemacher Simon Brückner überraschenden Schlussakkord.
Simon Brückner im Majestic-Presseheft: „Der Film formuliert keine abschließende Antwort, er ist kein ‚Endergebnis‘, sondern ein Kondensat von Situationen und Erfahrungen, die ich mit der Kamera festhalten konnte. Er führt an den Rand von Abgründen und lässt zugleich Raum für Entdeckungen. So kann das Publikum meine Reise selbst antreten. Die Entstehung der AfD war mit Polarisierungen und gesellschaftlichen Kommunikationsbrüchen verbunden. Ich wollte innehalten und die Dinge aus einer Distanz betrachten. Darin liegt für mich die Kraft des beobachtenden dokumentarischen Kinos: Die Phänomene in der Dunkelheit des Saales und in der Größe der Projektion für sich selbst sprechen zu lassen.“
Pitt Herrmann