Inhalt
Der Dokumentarfilm beobachtet den Alltag der Bewohner des Ostberliner Stadtteils Prenzlauer Berg wenige Monate nach den Mauerfall und ihre Konfrontation mit den teils schleichenden, teils sehr offenkundigen Veränderungen in den letzten zwei Monaten vor der Einführung der "Westmark". Im Zentrum stehen dabei Hausbesetzer ebenso wie Stammgäste einer Eckkneipe oder die Betreiber des legendären "Konnopke Imbiss". Zu Wort kommen auch der Autor Kurt Mühle, der Fotograf Harald Hauswald sowie die Musiker Aljoscha Rompe und Rex Joswig, die mit ihren Bands auch die Musik des Films beisteuerten.
Kommentare
Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!
Jetzt anmelden oder registrieren und Kommentar schreiben.
Aus einer Wohnung geht „Radio P“ auf Sendung, ermöglicht durch die kurze Zeit des gesetzlosen Zustandes während der Wende. Eine Rockband spielt unterhalb eines Wachturms auf dem nun von NVA-Grenztruppen verwaisten Todesstreifen, im Hintergrund ist der Fernsehturm am Alexanderplatz erkennbar. Die Jungs singen 'was von Revolution. „Besetzt Häuser und Fabriken“ steht auf Transparenten einer Demonstration nicht nur junger Leute. An der Hauswand prangt der hoffnungsvolle Spruch „Berlin bleibt Rot!“ Während eine junge, total genervte Frau ihren offenbar um einiges älteren Mann aus der Eckkneipe nach Hause zerrt, lässt es sich eine feucht-fröhliche Truppe älterer Frauen bei Live-Musik und Tanz gut gehen: „Und jetzt darf wieder gelacht werden.“ Eine Aussage, die nicht von Befreiung zeugt, eher von Galgenhumor: „Wir nehmens so, wies kommt. Der Kleine ist immer der Dumme.“
Eine aus eigener Erfahrung resignierte Haltung, die sich wie ein Roter Faden durch den Dokfilm für das nun selbständige, als Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisierte Defa-Studio für Dokumentarfilme zieht. Wenige Monate nach dem Mauerfall müssen die Bewohner des Ost-Berliner Stadtteils Prenzlauer Berg mit erheblichen Veränderungen zurechtkommen in den letzten zwei Monaten vor der Einführung der „Westmark“: Hausbesetzer ebenso wie Stammgäste einer Eckkneipe oder die Betreiber des legendären „Konnopke's Imbiss“, zu Wort kommen auch Promis wie der Autor Kurt Mühle sowie die Musiker Aljoscha Rompe und Rex Joswig, die mit ihren Bands auch die Musik des Films beisteuerten.
Zurück zum demonstrativ munteren Frauen-Kränzchen. Währungsunion? Für sie sind Papageien-Diebstähle im Tierpark das wichtigere Gesprächsthema. Das ist bei einem Oberbekleidungs-Unternehmen anders: Von „modischem Chic“ kann nach einhelliger Ansicht zumindest der deutschen Arbeiterinnen nicht die Rede sein. Uralte Materialien, längst unmoderne Schnitte: selbst der von der Betriebsleitung verordnete Straßenverkauf bringt nichts ein – der Käufer hat nun Alternativen aus dem Westen. Und dann fällt unvermittelt das Wort „Rassenhass“: die deutschen Frauen fürchten um ihre Arbeitsplätze, weil die im eigenen Kollektiv arbeitenden Vietnamesinnen wohl billiger sind.
Die Schönhauser Allee war für die Einheimischen schon immer die Haupteinkaufstraße, was auch daran lag, dass sich hier noch private Betriebe gehalten hatten, Handwerker vor allem, aber auch das Textilkaufhaus WEGA. Dort geben sich nun die West-Aufkäufer die Klinke in die Hand, aber die Betreiber wollen das seit Oktober 1949 bestehende Familiengeschäft nicht aus der Hand geben. Im Knaack-Club trifft sich die Jugendszene nun täglich zur Disko. Aber die engagierten Betreiber wollen mehr, bauen den Keller für kulturelle Aktivitäten aus – und zeigen dort Filme von 1959 mit der Mode und den Aufbau-Hoffnungen der drei Jahrzehnte später längst desillusionierten Elterngeneration. Diese Clubs bilden einen Fluchtpunkt für die in die totale Orientierungslosigkeit entlassene Generation Heranwachsender, die gerade noch zum Fahnenappell im Schulhof strammstand und nun damit fertig werden muss, dass alle Gewissheiten über den Haufen geworfen sind.
Im Prater läuft ein Kleinkunstprogramm mit Live-Musik und Travestie, zwei Ecken weiter im nach einem DDR-Schauspieler benannten Erich-Franz-Club (der in der heutigen Kulturbrauerei unter Frannz firmiert) wird die DDR wehmütig zu Grabe getragen mit der verfremdeten Becher-Hymne vor originaler Hammer-und-Sichel-Fahne. Durch die Kneipen ziehen Werbekolonnen westlicher Tabakkonzerne mit Probepackungen von Marlboro und Chesterfield. „Die Anarchie ist vorbei – jetzt kommt die Deutsche Bank“ heißt es, als Dagmar Berghoff in der „Tagesschau“ am 30. Juni 1990 die Währungsunion verkündet. Harald Hauswald, der gerade noch die Transvestiten im analog zum dahinter liegenden Biergarten in „Prater“ umbenannten einstigen Kreiskulturhaus Prenzlauer Berg mit Fotomaterial aus dem Westen aufgenommen hat und nun die Abzüge auf der Wäscheleine seiner Altbauwohnung trocknet, versteht den weitverbreiteten Pessimismus im Viertel: so heimelig wird es nicht mehr. Was ein noch sehr rüstiger Bewohner eines Altenpflegeheims unterstreicht: 100 Mark muss er im Monat für das Zimmer, das er mit einem anderen männlichen Bewohner teilt, seit seine Frau vor einigen Jahren gestorben ist, zahlen. Das wird sich radikal ändern – wie er ahnt und wie wir heute wissen.
Es war nicht alles schlecht, sagt ein Hausbesetzer, der von einem alternativen Kulturzentrum träumt, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht der Kommerz. Erste rechtsradikale Gruppen kommen aus den Löchern, die man im offiziell antifaschistischen Sozialismus nicht sehen wollte und daher auch nicht zu stopfen versuchte: die Militaristen, Revanchisten und Nationalisten lebten sämtlich jenseits des „Antifaschistischen Schutzwalls“. Im „Wiener Cafe“ steigt derweil die Stimmung, eine beleibte Dame schlüpft auch musikalisch in die Rolle von Trude Herr, wenn die aus Bukarest stammende Band mal eine Pause einlegt. Und Co-Autor Jochen Wisotzki singt mit hoher Kopfstimme das alte DDR-Kinderlied „Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer.“
„Ein Lied von der Heimat, ein sentimentaler Abgesang, der alle Klischees bedient und so gnadenlos DDR-deutsch ist, dass es einem die Tränen in die Augen treibt“ schreibt André Meier in der „taz“ vom 14. Dezember 1990. Zwei Tage zuvor ist der Film offenbar an bisher unbekanntem Ort öffentlich gezeigt worden, als offizielles Anlaufdatum gilt der Start im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz am 26. April 1991.
Pitt Herrmann