Feuerland

DDR 1987/1988 Kurz-Dokumentarfilm

Inhalt

Dokumentarfilm über die Dorotheenstadt in Berlin-Mitte, die im 19. Jahrhundert "Feuerland" hieß. Die vielen Maschinenfabriken und Eisengießereien prägten die Gegend und gaben ihr den Namen. Im Mittelpunkt des Films steht die Gaststätte Borsig-Eck. Dort trifft sich ein bunter Mix der Gesellschaft – Bauarbeiter aus Neubrandenburg, die Zuhause arbeitslos wären, ein 75jähriger Schachmeister, Fußballfans und ein Hochzeitspaar, welches zu Udo Lindenbergs "Hinter dem Horizont" tanzt. Der Film zeigt auf authentische Art und Weise ein Stück Alltagsleben der Protagonisten.

 

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Heinz17herne
Heinz17herne
„Wer kennt Kutte nicht?“: Der 75-jährige Stammgast der Gaststätte „Borsig-Eck“ spielt seit seinem achten Lebensjahr Schach. Der ständig Zigarre paffende Sohn eines Berliner Schach-Bezirksmeisters hat ein bewegtes Leben hinter sich, das sich wie ein Roter Faden durch den im Mai 1987 gedrehten halbstündigen Dokumentarfilm „Feuerland“ Volker Koepps zieht.

Dessen Titel die Volksmund-Bezeichnung für die Berliner Dorotheenstadt aufgreift, wo im 19. Jahrhundert Eisengießereien und Maschinenfabriken angesiedelt waren, darunter auch die größte Lokomotivenfabrik Deutschlands von August Borsig. Dessen Grabstätte auf dem idyllischen Dorotheenstädtischen Friedhof rückt wenig später Thomas Plenert ins Bild zusammen mit der des Bildhauers Christian Daniel Rauch. Und für die Vogelperspektive steigt der Kameramann bis ins oberste Stockwerk der Charité.

Die Gegend um die Chaussee-, Invaliden-, Garten-, Acker- und Wilhelm-Pieck-Straße (heute: Torstraße) in Berlin-Mitte wurde im vorigen Jahrhundert „Romantikerviertel“ genannt, tragen zahlreiche Straßen doch die Namen prominenter Vertreter der „romantischen Schule“ wie Eichendorff, Novalis, Schlegel und Tieck. Der „Wappenkeller“ gegenüber dem Nordbahnhof (die Mauer ist naturgemäß nicht zu sehen), das „Altdeutsche Ballhaus“ an der Ackerstraße, das „Ballhaus Berlin“ an der Chausseestraße und die Stammtische in „Regina’s Klause“ wie im „Borsig-Eck“ sind letzte Überreste eines ausgedehnten Kneipen- und Amüsierviertels.

Kutte, selbst 1952 Berliner Schach-Stadtmeister, gewinnt immer und gibt schwächeren Gegnern gern einen Vorsprung, indem er vorab etwa einen Turm und einen Springer opfert. „Die Tricks kommen nicht von allein, die musste jahrelang trainieren“ weiß Kutte, der als Kellner im Cafe König Unter den Linden gearbeitet hat und 1935 von der Gestapo verhaftet wurde, nachdem er Ernst Thälmann zitiert hatte. Knapp zwei Jahre landete er als „Politischer“ an der Seite prominenter Sozialdemokraten im KZ Lichtenburg bei Torgau.

Der Wirt des „Borsig-Eck“ spielt häufig mit Kutte. Bis auf den Schließtag Mittwoch steht er täglich zwischen 10 und 23 Uhr am Tresen, wo das Glas Bier 45 Pfennig kostet – mit Bedienung am Tisch 51 Pfennig. Später lässt er sich von einem Pilzexperten erklären, welche Morchelsorten essbar sind und welche giftig – und nimmt gern Rezepte für frisch gepflückten Waldmeister entgegen. Ein Hochzeitspaar hat das Hinterzimmer geentert, es wird zu Udo Lindenbergs Hit „Hinterm Horizont“ getanzt. Das Brautpaar, er städtischer Straßenreiniger, sie Mitarbeiterin der Devisen-Nobelherberge Interhotel Berlin, macht einen zufriedenen Eindruck: „Es geht uns normalerweise nicht schlecht.“

An der Gartenstraße wird das „Stadtbad Mitte“ restauriert. Nicht nur alle technischen Einrichtungen werden erneuert, auch das Gebäude selbst bis auf die Grundmauern entkernt und rekonstruiert – für 30 Millionen Mark, wie der Bauleiter verrät. Im Bauwagen an der Borsigstraße trifft Volker Koepp auf Arbeiter aus Neubrandenburg, die seit vier Jahren in der Hauptstadt tätig sind. Nach der tschechoslowakischen Botschaft in Pankow und vier Hochhäusern an der Rhinstraße ziehen sie nun Plattenbauten beiderseits der Wilhelm-Pieck-Straße hoch. Ihre Frauen müssen sich seitdem auch um den Garten und die Hobbys (Tauben)
ihrer auf Montage befindlichen Männer kümmern.

An der Chausseestraße ziehen Fußballfans zum Stadion der Weltjugend. Am Abend ist das „Borsig-Eck“ hell strahlender Mittelpunkt des Kiezes mit trostlos-funzeliger Straßenbeleuchtung. Als sich Thomas Plenert mit laufender Kamera den Weg durch junge Leute zum Ausgang bahnt, bekommt er den Unmut der offenbar ungefragt gefilmten Gäste zu spüren, die hinter ihm wütend die Gaststätten-Tür zuknallen.

Mit diesem Ausrufezeichen neu erwachten Selbstbewusstseins, das sich bekanntlich gut ein Jahr später auch auf den Straßen nicht nur Berlins Bahn bricht und letztlich zur Wiedervereinigung führt, endet „Feuerland“, ein authentisches, nur spärlich vom Filmemacher selbst aus dem Off kommentiertes Dokument des Alltagslebens des in den letzten Zügen liegenden Arbeiter- und Bauernstaates DDR.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Länge:
818 m, 29 min
Format:
35mm, 1:1,33
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Erstaufführung (DD): 15.01.1988;
Aufführung (DE): 23.04.1988, Oberhausen, IFF - Internationaler Wettbewerb

Titel

  • Originaltitel (DD) Feuerland
  • Arbeitstitel (DD) Chausseestraße
  • Titelübersetzung (EN) Fireland

Fassungen

Original

Länge:
818 m, 29 min
Format:
35mm, 1:1,33
Bild/Ton:
s/w, Ton
Aufführung:

Erstaufführung (DD): 15.01.1988;
Aufführung (DE): 23.04.1988, Oberhausen, IFF - Internationaler Wettbewerb