Ein Jahr voll Musik

DDR 1970 TV-Film

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Heinz17herne
Heinz17herne
Thüringen im Winter. Durch orangefarbene, im Schnee leuchtende Versalien sausen Skifahrer jeglichen Alters wie durch popfarben angestrichene Torstangen. Und das vor laufender Kamera. Die Dreharbeiten zu einem Film mit dem Titel „Ein Jahr voll Musik“ verfolgen die beiden zufällig vorbeikommenden Fotoreporter Karin (Heidrun Polack) und Rolf (Rolf Herricht) aus ihrem schmucken Wartburg Tourist heraus.

Sie sind mit dem Auftrag hierher gekommen, einen Reisekalender zu gestalten. Und Rolf erträumt sich seine attraktive Begleiterin in Model-Maßen bereits in der neuesten „Sibylle“-Couture vor seinem Kameraauge. Inspiriert von den Dreharbeiten kommt Karin auf die Idee, den Kalender mit Fotos aus allen vier Jahreszeiten zu bebildern. Die „schlaue Knipsmaus“, welcher der um einiges ältere Rolf gern auch privat etwas näher gekommen wäre, beschließt, sich am Bahnhof Ernstthal von ihrem Kollegen zu trennen und die Reise mit der Bahn fortzusetzen.

Wenn Paris, London und Wien in allzu weiter Ferne liegen, kann es doch auch daheim schön sein: Beide sollen Fotos von den Gegenden zwischen Kap Arkona und Fichtelgebirge machen, wo es sich für den international bekanntlich stark eingeschränkten DDR-Bürger lohnt, den Urlaub zu verbringen. Jeweils vierteljährlich wollen sie sich wieder treffen, um gegenseitig ihre Bilder zu begutachten und vielleicht sogar schon eine Vorauswahl für die Schlussredaktion vorzunehmen.

„Im Winterland da sind wir froh“ klingt es mitten im Schnee vor der Rennsteig-Baude, bevor der Frühling ausbricht und Karin Mitte Mai vor dem verabredeten Treffpunkt, einer Windmühle mit bereits reger Außengastronomie, ihr reizendes Dekolleté von den ersten wärmenden Sonnenstrahlen bescheinen lässt. „Jedes Jahr gibt es einen Mai“ wird unter blühenden Bäumen intoniert, „Alle Vöglein sind schon da“ auf dem Erfurter Gelände der Internationalen Gartenbau-Ausstellung, zu den Gesangsstars gehören unter anderem Gilbert Becaud und Margareta Paslaru. Dazu tanzt das miniberockte Ballett des Berliner Friedrichstadtpalastes.

Der Sommer vergeht mit Gabriele Kluge, Beauty Milton, Frank Schöbel und dem dänischen Mädchenblasorchester Ved-Back-Garde wie im Fluge auf einer Flussfahrt entlang des Elbsandsteingebirges oder am Ostsee-Strand, wo gleich die neueste Bademode made in GDR vorgeführt wird. „So schön ist die Welt“: Ein wenig Fernweh darf schon sein bei einer Interflug-Iljuschin auf dem Berliner Flughafen Schönefeld, einem Pizunda-Werbeplakat am Aeroflot-Reisebüro Unter den Linden und einem musikalischen Ausflug ans Schwarze Meer vor dem Restaurant Moskau in der Karl-Marx-Allee.

Das Verkehrsschild „Transit Trelleborg“ gilt freilich nur für Ausländer aus dem kapitalistischen Westen und, Günther Jaeuthes Kamera holt sie kurz ins Bild, IFA-Trucker des VEB Kombinats Außenhandel. Dafür bietet zum fröhlichen „Hello Summer“-Schlager die Hauptstadt genug touristische Highlights mit dem Neptun-Brunnen vor Fernsehturm und Rotem Rathaus sowie mit Wasserski in der Potsdamer Havellandschaft.

„Sommerwind“: Editha Pjecha, Thomas Lück und Klaus Sommer besingen die herbstliche Erntezeit, Kornfelder der Landwirtschaftlichen Produktions-Genossenschaften reichen bis zum Horizont, in Sachsen wird mit zünftiger Blaskapelle (und Goldbroiler in der Hand des Trommlers) die Weinernte an Elbe, Saale und Unstrut gefeiert und im Berliner Plänterwald dreht sich das Riesenrad in der nun wieder früher einsetzenden Dunkelheit. In der Räuberhütte des Freilichttheaters an der Moritzburg kommen Karin und Rolf wieder zusammen – und sie werden sogleich wie zuvor in Thüringen und am Pool eines Ferienschiffes von ihrem Stammkellner, der Erzkomödiant Gerd E. Schäfer bildet so etwas wie den „Rote Faden“ der Rahmenhandlung, bedient.

So auch abschließend im Panoramarestaurant des Oberhofer Interhotels: Im Winter schließt sich der Kreis der Jahreszeiten, auch musikalisch mit Etta Cameron, Edith Haas, Karin Maria, Vera Schneidenbach, Harry Nicolai und dem Ballett des Deutschen Fernsehfunks. Zuvor geht es in wunderschönen Aufnahmen noch in verschneite Landschaften quer durch den Arbeiter- und Bauernstaat, nach Thüringen und in den Harz, an die Ostsee und an zugefrorene Kanäle, die von Eisbrechern für die Binnenschifffahrt freigemacht werden müssen. Und über den Dächern von Lauscha ist der Laufsteg für die aktuelle Wintermode präpariert...

„Ein Jahr voll Musik“ von Hans-Georg Ponesky, Wolfgang Strobel (beide Buch) und Ulrich Rulf (Regie), eine Babelsberger Defa-Produktion (PL Fritz Brix) für das Redaktionskollektiv „Mit dem Herzen dabei“ beim Deutschen Fernsehfunk und dort am 24. Dezember 1970 erstausgestrahlt, ist neun Jahre nach dem Mauerbau kein unpolitischer Unterhaltungsfilm, obwohl er ganz so daherkommt – auch mit den noch zu nennenden musikalischen Akteuren Karin Heyn, Liesbeth List und Jörg Martin, den Scherbelberger Musikanten, der Gruppe „Die fröhlichen Sänger“, einer Kindergruppe des Philharmonischen Chores Dresden sowie der Tanzgruppe des VEB Starkstrom-Anlagenbau Halle an der Saale.

Heute ist der Sechzigminüter ein zeithistorisches Dokument. Das zum einen den Staatsoptimismus, diesseits von Mauer und Stacheldraht auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, unterstreicht mit Bildern moderner, Weltoffenheit suggerierender Berliner (Hochhaus-) Architektur an der Leipziger wie an der Karl-Marx-Allee, mit der Präsentation aktueller, für ganz Osteuropa stilbildender Mode und einer Lebensfreude, die natürlich, etwa bei den Wasserskiaufnahmen in der Potsdamer Havellandschaft, die Grenzanlagen mittendrin (Glienicker Brücke, Heilandskirche Sacrow) ausblendet.

Zum anderen offenbart dieser Musikfilm die anhaltende Devisenknappheit des SED-Regimes: Gesungen werden selbst aktuelle Welthits wie „Pretty Belinda“ von Chris Andrews aus dem Jahr 1969 in deutscher Sprache. So wird aus „Summerwine“ von Nancy Sinatra und Lee Hazlewood aus 1967 kurzerhand „Sommerwind“ und statt „Aux Champs-Elysees“ von Joe Dassin aus dem Jahr 1969 erklingt im Film „Das haut einen um“. Was in der Tat wörtlich zu nehmen ist!

Pitt Herrmann

Credits

All Credits

Screening:

Uraufführung (DD): 20.12.1970, DFF

Titles

  • Originaltitel (DD) Ein Jahr voll Musik

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Original

Screening:

Uraufführung (DD): 20.12.1970, DFF