Unterhaltung und Ideologie im NS-Film

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Heinz Rühmann in "Die Feuerzangenbowle" (1943)

Bereits wenige Wochen, nachdem die Nationalsozialisten im Januar 1933 an die Macht gekommen waren, hatte Joseph Goebbels die wichtige Funktion der Unterhaltungsfilme betont. In seiner Rede im Berliner Hotel Kaiserhof im März 1933 erklärte der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, bei dem Ziel, den deutschen Film "von der Wurzel aus zu refomieren", um ihm "völkische Konturen zu geben", sei es ebenfalls wichtig, das "Schaffen des kleinsten Amüsements, des Tagesbedarfs für die Langeweile" nicht zu vernachlässigen.Im Laufe des Zweiten Weltkrieges legte Goebbels – der dominante, doch nicht omnipotente Faktor in der nationalsozialistischen Filmpolitik – zusehends mehr Wert auf unterhaltende Stoffe. Gerade der Unterhaltungsfilm sei "als wertvolles Instrument der Volksführung im Kriege" ernst zu nehmen – auch das Lustspiel, betonte er 1940 anlässlich einer Arbeitstagung des Präsidialrates der Reichsfilmkammer, könne tiefere Bedeutung haben. Sogenannte "ernsthafte" Filme hingegen, so Goebbels, könnten mit "abwegiger Problemstellung und unnatürlichen Dialogen völlig bedeutungslos wirken". 1942 forderte Goebbels explizit die Produktion von Unterhaltungsfilmen und notierte am 8. Februar 1942 in seinem Tagebuch: "Auch die Unterhaltung ist heute staatspolitisch wichtig, wenn nicht sogar kriegsentscheidend."

 

"Staatspolitisch wichtige" Unterhaltung

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Rolf Wenkhaus in "SA-Mann Brand" (1933)

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Komödien und Unterhaltungsfilme im "Dritten Reich" eine besondere Rolle spielten. Allein 1939, im Jahr des Kriegsbeginns durch den Angriff deutscher Truppen auf Polen, erreichten Unterhaltungsfilme einen Anteil von 36% an der Gesamtproduktion, gefolgt von 34% im Jahre 1942, dem Jahr der größten militärischen Ausdehnung des "Dritten Reichs". Und nicht nur die offensiven Propagandafilme wie "Hitlerjunge Quex" und "SA-Mann Brand" 1933 vermittelten die Weltanschauung der Nationalsozialisten: Auch in sogenannt unpolitischen NS-Lustspielen sind Elemente von Propaganda zu entdecken, auch die "staatspolitisch wichtige" Unterhaltung verweist auf den Kontext ihrer Herstellungszeit. Besonders wichtig wird dieser Zusammenhang angesichts dessen, dass ein Großteil der NS-Unterhaltungsfilme noch immer – im Gegensatz zu den unter "Vorbehalt" gestellten Propagandafilmen und Unterhaltungsfilmen mit propagandistischem Inhalt – im deutschen Fernsehen zu sehen sind und in Kinovorführungen präsentiert werden.An zwei bis heute populären Komödien lässt sich die Verquickung von Ideologie und Unterhaltung exemplarisch verdeutlichen. Zum einen an der Tobis-Produktion "Altes Herz wird wieder jung" (1942/43), die als Familienunterhaltung und als der letzte Film des großen Stars Emil Jannings noch immer als "unterhaltendes Lustspiel" angekündigt wird. Und zum zweiten an dem Heinz-Rühmann-Klassiker "Die Feuerzangenbowle", der bis heute als Kultfilm verehrt wird und sich vor allem bei Vorführungen im Hochschulmilieu großer, anhaltender Beliebtheit erfreut.

"Die Feuerzangenbowle"

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Heinz Rühmann in "Die Feuerzangenbowle" (1943)

Im Falle der überaus populären "Feuerzangenbowle", in der Heinz Rühmann den Schelm Pfeiffer mit den berühmten drei F verkörpert, der als gemachter Mann noch einmal die Schulbank drückt, ist der Kontext der NS-Ideologie oberflächlich kaum zu erkennen. Bei einem genaueren Blick auf die "Feuerzangenbowle" jedoch fällt vor allem die Figur des Lehrers Brett und seine Funktion in der Komödie auf.Bretts im Film mehrfach bestätigte Maxime lautet: "Junge Bäume, die wachsen wollen, muss man anbinden, dass sie schön gerade wachsen, nicht nach allen Seiten ausschlagen, und genauso ist es mit den jungen Menschen. Disziplin muß das Band sein, das sie bindet – zu schönem geraden Wachstum!” Die Lehrmethoden des schneidigen, jungen, beliebten Lehrers, der im Jargon der NS-Propaganda als Vertreter einer "neuen Zeit" auftritt, erinnern durchaus an die Vorstellung, den deutschen Wald – wie auch im NS-Propagandafilm "Ewiger Wald" (1936) anschaulich wird – als Symbol des Heeres und des Volkes instrumentalisierten. Das Ideal vom "schönen geraden Wachstum" ließe sich so auch im Sinne des Rassenwahns der Nazis verstehen, in dem die "arische Rasse" als überlegen propagiert wurde und Millionen Männer, Frauen und Kinder als so genannte "Untermenschen" oder "Volksschädlinge" ermordet wurden.

"Altes Herz wird wieder jung": Von der Familienkomödie...

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"Altes Herz wird wieder jung" (1943): Viktor de Kowa, Maria Landrock, Emil Jannings (v. l. n. r.)

Auch in der Komödie "Altes Herz wird wieder jung" offenbaren sich bei genauerer Betrachtung vielfältige Bezüge zur NS-Ideologie und -Politik. Die von Erich Engel inszenierte und mit Emil Jannings, Paul Hubschmid,
Viktor de Kowa und Elisabeth Flickenschildt prominent besetzte Komödie ist "keiner der trompetenden Propagandafilme", wie der Filmhistoriker und Journalist Gerald Koll erläutert: "Seine Indoktrination verfährt eleganter."Auf den ersten Blick erzählt die Geschichte der jungen Brigitte (Maria Landrock), die 1938 auf der Suche nach einer Arbeitsstelle ihren verschollenen Großvater ausfindig macht und alsbald unverhofft nicht nur zu einer neuen Familie und einer Stelle als Sekretärin, sondern auch noch zu einen Ehemann kommt, von sehr privaten Schicksalen. Der alte, mürrische, sich kinderlos glaubende Fabrikant Hoffmann (Emil Jannings) findet mit der überraschend aufgetauchten Enkelin neuen Schwung. Seine auf die Erbschaft lauernde Verwandtschaft muss lernen, sich an die zunächst unbekannte junge Frau an Hoffmanns Seite zu gewöhnen. Und Hoffmanns patenter Neffe (Viktor de Kowa), bei dem Brigitte eine Anstellung findet, wird sich in die junge Frau verlieben und mit ihr am Ende die Hochzeit planen.Diese scheinbar unpolitische Geschichte einer Familienzusammenführung aber ist in besonderer Weise "zeitnah", wie schon die Zeitschrift "Film-Kurier" im April 1943 lobend feststellte. Von Beginn an ist die Komödie von der Wirkungsmacht der nationalsozialistischen Rassenlehre und -politik durchzogen. Schon die Entscheidung für die Suche nach dem verschollenen Großvater entwickelt sich aus "Abstammungssorgen", wie die junge Brigitte beichtet. Damit ist auf nichts anderes angespielt als auf den so genannten "Arier-Nachweis", der seit März 1933 für Berufsbeamte, aber auch für Arbeiter, Angestellte im öffentlichen Dienst, Juristen, Mediziner sowie Schüler der höheren Schulen zur Bedingung geworden war. Deren Familien mussten im Sinne des NS-Rassismus mindestens bis zu den Großeltern "rein arisch" sein.

...zur NS-Vererbungslehre

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Emil Jannings in "Altes Herz wird wieder jung" (1943)

Von diesem Ausgangspunkt setzt "Altes Herz wird wieder jung" die Forderung nach dem "Arier-Nachweis" nicht nur ins Recht – dadurch findet eine Familie wieder zusammen und gemeinsam ihr Glück –, sondern bestätigt auch zugrunde liegende Ideologeme der Nazis. Neben zahlreichen Anspielungen auf z.B. Hitlers Besuch bei Mussolini und die Ausdehnung des "Großdeutschen Reiches" bleibt die Frage der Abstammung dabei von zentraler Bedeutung. Eine der Grundlagen der rassistischen Weltanschauung und der Vernichtungspolitik der Nazis bestand in der Instrumentalisierung der Vererbungslehre: Einhergehend mit äußerlichen Merkmalen galten hier auch charakterliche Eigenschaften und "Wesensmerkmale" als vererbbar. Hieraus entwickelten die Nazis ihr Konstrukt einer "jüdischen Rasse" und das Gebot der "Reinhaltung" der "arischen Rasse". Die Anwendung der Vererbungslehre auf soziologische Zusammenhänge führte zu Zwangssterilisationen und Massenmord.Genau diese Überzeugung von "Reinhaltung" und von der Vererbung charakterlicher Eigenschaften und innere Werten festigt "Altes Herz wird wieder jung" auf subtile Weise: Unzweideutig muss sich die Enkelin Brigitte als Teil der direkten Hoffmann-Erblinie erweisen, indem ihre Wesensverwandtschaft mit Hoffmann bis in Phrasen und Musikgeschmack hinein reicht. Und um diese "Reinheit" zu wahren, erscheint es geradezu logisch, dass Hoffmanns Enkelin nun auch noch Hoffmanns Neffen zum Mann nehmen wird. Der Kreis des völkischen "Wir" schließt sich in der "neuen Zeit" Nazideutschlands – diese Quintessenz ist so wichtig, dass Hoffmann sie in seinem Schlussmonolog noch einmal deutlich betonen darf: "Da kommt eine Zeit über unser Land. Der Mensch blickt nicht nur mit neuem Mut vorwärts. Er sieht auch – sich besinnend – zurück auf seine Vorfahren."