Unter den Trümmern der Popkultur - Jugend im deutschen Film

Quelle: TelePaten, DIF
"Status Yo!" (2004)
 

von Christian Buß, 2004

Jugend ist nicht nur ein Zustand, Jugend ist auch ein Produkt: Ein Produkt, dessen Vermarktung über die letzten Jahre auch hierzulande vor allem von den großen Musiksendern übernommen wurde. VIVA und MTV definierten das Lebensgefühl ihrer nicht-erwachsenen oder sich nicht-erwachsen fühlenden Klientel und erstellten die entsprechenden medialen Leitbilder. Oft beschränkten sich deutsche Filme auf die Reproduktion dieser wertschöpfungsorientierten Ikonographie. Dass das Musikfernsehen seit kurzem in die Krise geraten ist, könnte deshalb durchaus als Chance für das deutsche Kino gesehen werden. Dort entsteht Raum für andere Jugend-Bilder. So setzten in der letzten Zeit gerade jene Kinoproduktionen wichtige Impulse, in denen die durch VIVA und MTV verwaltete Repräsentation von Jugend unterwandert, umfunktioniert oder gleich ganz zerstört wird. Unter den Trümmern der Jugendkultur liegt – die Jugendkultur!

 

Liebe, Respekt, Revolution

Quelle: Delphi-Film, DIF, © Dirk Plamböck
"Die fetten Jahre sind vorbei" (2004)
 

Am radikalsten ging der Berliner Regisseur Till Hastreiter mit "Status Yo!" (2004) vor: In seinem HipHop-Drama folgt er halbwüchsigen Sprayern, Breakdancern und MCs durch Berlin-Friedrichshain und -Mitte und berichtet von ihrem Kampf um Liebe, Respekt und Selbstverwirklichung. Die Darsteller sind Laien, Hastreiter lässt sie ihre eigene Sprache sprechen und inszeniert sie als Helden des Alltags. Das so entstandene üppige Filmmaterial organisiert der Regisseur, früher selbst HipHop-Aktivist, wie ein DJ sein Vinyl: Er remixt es zu einer etwas anderen Großstadtsymphonie. Vor einschlägigem Publikum bei Vorführungen in Jugendzentren und Multiplexen testete er die Reaktionen und schnitt sein Werk immer wieder neu um. Auf diese Weise gestaltete er "Status Yo!" – vorbei an den üblichen Marketinginstanzen – konsequent nach den Bedürfnissen und Sichtweisen seines jungen Publikums. Ähnlich kompromisslos, wenngleich theatralisch erhöht, kommt Neco Celiks "Urban Guerillas" (2003) daher: Der Kreuzberger türkischer Herkunft erzählt vom Heranwachsen in den multiethnisch geprägten Straßen Berlins; vor dem Hintergrund quasi-dokumentarisch abgefilmter Lebenswirklichkeit verhandelt er die Selbstinszenierungstechniken des HipHop. Publikum und Filmhelden rücken so denkbar dicht zusammen – ohne dass dabei der Geschichte ihre dramatische Größe genommen wird.Eine Strategie, die auch in Hans Weingartners "Die fetten Jahre sind vorbei" (2004) Anwendung fand: Eine coming-of-age-Geschichte, die so schlüssig wie leichthändig von der Repolitisierung der Jugend berichtet. Weingartner lässt seine Figuren im Globalisierungsgegner-Idiom sprechen – doch hinter den Revoluzzerfloskeln treten komplexe Charaktere hervor, die sich in der unübersichtlichen Gemengelage aus diffusen Emotionen und politischem Ohnmachtsgefühl zu einer Haltung durchringen. "Die fetten Jahre sind vorbei" ist ein heiteres antikapitalistisches Pamphlet, in dem der Regisseur die durch VIVA und MTV verbreitete Jugendkultur-Ikonographie für die eigenen Zwecke nutzt. Er sucht im Durcheinander der Zeichen und Ideologien nach Identität – und lässt eben diese auch seine Helden finden. Von Beliebigkeit keine Spur.

Parcours der Prüfungen und Peinlichkeiten

Quelle: Constantin, DIF
"Harte Jungs" (2000)
 

Das Ringen um den eigenen Platz, um sexuelle, soziale und eben auch politische Identität, ist die Bewegung der Adoleszenz. Sonderbarerweise ist man im deutschen Kino erst sehr spät darauf gekommen, Jugendliche könnten anderen Jugendlichen bei ihrer Selbstfindung gern zuschauen. Während sich in den USA bereits Anfang der 1980er mit den Highschool-Komödien von John Hughes ("Breakfast Club") der Teenager als Protagonist eines höchst erfolgreichen Kino-Segments etabliert hat, wurde das Thema Jugend hierzulande vor allem mit einem pädagogischen Impetus behandelt. Deutsche Filmproduzenten entdeckten erst vor ein paar Jahren im großen Stil das erzählerische und kommerzielle Potenzial, das die Aufbereitung des schwierig zu definierenden Zustands zwischen Kindheit und Erwachsensein bietet. Dass eine obskure US-Pubertätsklamotte mit dem Titel "American Pie" zur Jahrtausendwende über sechs Millionen Zuschauer in deutsche Kino gelockt hatte, mag die Fantasie der Geldgeber ein bisschen beflügelt haben. Jugend wurde auf einmal auch im deutschen Kino mainstreamtauglich – mit allen positiven und negativen Auswirkungen. Auf der einen Seite stehen Filme wie Hans-Christian Schmids "Crazy" (2000), in denen die Figuren durch einen Parcours der Prüfungen und Peinlichkeiten getrieben werden, um einen heilsamen Prozess der Selbstvergewisserungen durchzumachen. Auf der anderen Seite seht Klamauk der Marke "Harte Jungs" (2000), wo das unkontrollierte Austreten von Körperflüssigkeiten lediglich dazu dient, den Teenager der Lächerlichkeit preiszugeben.

Die Norm und die lustvolle Abweichung

Quelle: Columbia Tristar, DIF, © Deutsche Columbia Pictures Filmproduktion, Foto: Marco Nagel
"Große Mädchen weinen nicht" (2002)
 

Die Adoleszenz ist auch die Lebensphase, in der man sich nach der Norm sehnt, aber das Eigene schätzen lernen muss. Dies ist der Grundkonflikt, dessen Aufarbeitung einen komischen oder dramatischen Mehrwert generiert. Das Arrangement mit dem als sonderbar, wenn nicht gar fehlerhaft, empfundenen eigenen Körper wird in den deutschen Produktionen der jüngeren Teenfilmwelle erzählerisch allerdings unterschiedlich elegant in Szene gesetzt: Dennis Gansels "Mädchen, Mädchen" (2001) etwa kommt als weibliche Antwort auf "American Pie" daher und zeichnet – grober als das Original – das Laborieren mit befremdlichen Stimulanzien nach. Was dem Jungen sein Apfelkuchen, ist dem Mädchen der Rennradsattel. Aufklärung mit den Mitteln des Popcorn-Kinos. Immerhin steht am Ende das Wissen, dass beim Sex erlaubt ist, was Spaß macht. Mit etwas mehr Gespür für die psychosozialen Begleiterscheinungen der weiblichen Pubertät hat Maria von Heland ihren Film "Große Mädchen weinen nicht" (2002) gedreht, eine Art Adoleszenz-Krimi, in dem sich mit dem Bewusstsein für die eigene Sexualität auch ein Bewusstsein für die Politik der Sexualität einstellt, die in der Erwachsenenwelt herrscht. Ausgangspunkt ist für alle Initiationserzählungen ein Gefühl von Fremde, eines Fremdseins sowohl im eigenen Körper als auch im eigenen Milieu. So kartographieren die besseren Filme um Jugend und Adoleszenz meist auch das unmittelbare Umfeld der Protagonisten. In ihrer Plattenbau-Ballade "alaska.de" (2000) beweist Esther Gronenborn ebenso eine dokumentarische Detailgenauigkeit wie Züli Aladağ in seinem ruhrpottgrauen Boxer-Melodram "Elefantenherz" (2002). Beide Filme zeichnen sich durch einen scharfen Blick für die psycho-ökonomischen Bedingungen aus, in und zu denen die juvenilen Helden eine Haltung entwickeln müssen.

Das Teenager-Soziotop als Sinn-Einöde

Quelle: X Verleih, DIF
"Was nützt die Liebe in Gedanken" (2004)
 

In einigen der stärksten Pubertätsstudien indes werden die Protagonisten gleichsam aus der Welt der Erwachsenen herausoperiert. Diplomatie und Politik sucht man hier vergeblich, destruktive Impulse können sich in diesen narrativen Feldversuchen mit einer tödlichen Wucht entfalten. So wie in Henner Wincklers "Klassenfahrt" (2002), einem kargem Reisebericht ins Innere eines ganz normalen jugendlichen Delinquenten, bei dem die Lethargie zwischen Tischtennis und Frustsaufen in ein mörderisches Szenario umschlägt. Die Adolszenz ist hier eine Sinn-Einöde, die sich scheinbar nur im Gewaltakt überwinden lässt. Davon erzählt auch Achim von Borries, der für seinen Ausstattungskraftakt "Was nützt die Liebe in Gedanken" (2004) den historischen Fall eines fatalen Selbstmordpaktes rekonstruiert hat: In einem Landhaus bei Berlin planen Ende der 1920er Jahre Jugendliche bei Absinthbesäufnissen, romantischen Simulationen, Swingtänzen und sonderbar modern anmutenden Scratch-Versuchen mit dem Grammophon den Suizid. Das Teenager-Soziotop wird hier zur autonomen Zone, in der pädagogische Deutungen und Ratschläge fruchtlos bleiben. So bleibt Jugend hier – wie auch im aktuellen deutschen Film überhaupt – ein weites, eigenes und glücklicherweise noch nicht enträtseltes Feld.