Pierre Eisenreich über die Rezeption in Frankreich

Unter den derzeitigen Kinonationen zeigt Deutschland neben den Vereinigten Staaten und Südkorea ein besonders ausgeprägtes Interesse an der Verfilmung seiner eigenen Geschichte. Über die letzten zehn Jahre sind jenseits des Rheins etwa fünfzehn Spielfilme entstanden, die in der Zeit des Zweiten Weltkriegs angesiedelt sind. Nur fünf dieser Filme fanden in Frankreich einen Verleih: "Moloch" (1999)von Alexander Sokurow, "Duell – Enemy at the Gates" (2001) von Jean-Jacques Annaud, "Nirgendwo in Afrika" (2001) von Caroline Link, "Rosenstraße" (2003)von Margarethe von Trotta und "Der Untergang" (2004) von Oliver Hirschbiegel. Es fällt auf, dass es sich bei den beiden ersten um deutsche Produktionen handelt, die aber von einem russischen bzw. einem französischen Filmemacher inszeniert wurden. Das Genre des Kriegsfilms und die Zeit von 1939-1945 verlangen in der Tat beträchtliche Budgets, was die Zahl der Projekte begrenzt und internationale Koproduktionen erforderlich macht. Sofern die Gelder mehrheitlich deutschen Ursprungs sind, bestimmen sie auch die Nationalität des Werks.

 

Kein Verleih für Dokumentarfilme

Quelle: Constantin, DIF
"Nirgendwo in Afrika" (2001)
 

Bei den Dokumentarfilmen waren es zehn, die sich im Lauf des letzten Jahrzehnts mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt haben. Leider ist bis heute keiner davon in französischen Kinos zu sehen gewesen. Lediglich Festivalbesucher konnten sie entdecken. Fünf dieser Filme sind bei der französischen Presse auf Interesse gestoßen. Catherine Axelrad hat bei den Filmfestspielen Berlin 2003 anlässlich der Filme "Bruno S." von Miron Zownir und "Grüße aus Dachau" von Bernd Fischer (Positif, April 2003) eine Beständigkeit in der Produktion historischer Dokumentarfilme über den Nationalsozialismus festgestellt, die gleichzeitig mit einer Erneuerung des deutschen Films einhergeht. Die Allgegenwart dieses Genres erscheint wie eine Mahnung und dient als "fiktionaler Vorrat", wie Samuel Douhaire im Zusammenhang mit "Winterkinder" (2005) von Jens Schanze bemerkt (Libération, 7. Dezember 2005). Odile Benyahia-Kouider (Libération, 15. Dezember 2004) und Jacques Mandelbaum (Le Monde, 17. Februar 2004) gehen noch weiter. Sie sehen am Beispiel zweier Dokumentarfilme von Romuald Karmakar, "Land der Vernichtung" (2004) und "Das Himmler-Projekt" (2000), eine künstlerische und ethische Arbeit am Werk, die sich gegen einen die Erinnerung besänftigenden Umgang mit dem vom Dritten Reich hinterlassenen Trauma wendet, wie er sich vor allem in "Der Untergang" von Oliver Hirschbiegel, mit seinem spektakulären Blick auf Hitler, darstellt.

Die Weigerung, Hitler als Toten zu filmen

Quelle und © Pantera Film
"Das Himmler-Projekt" (2000)
 

Welch ein Medienereignis war diese verfilmte Biographie der letzten Tage des Führers! François-Guillaume Lorrain (Le Point, 25. November 2004) und Gérard Delorme (Première, Januar 2005) haben den wesentlichen Mangel des Films aufgezeigt: die Weigerung, Hitler als Toten zu filmen. Für Gérard Delorme hat der Regisseur "die einmalige Chance vergeben, dem Gedächtnis ein starkes und notwendiges Bild anzubieten." Und wie Jacques Mandelbaum (Le Monde, 5. Januar 2005) erklärt, versagt er, wo es gilt, "den endgültigen Übergang dieses Zeitabschnitts von einem Mythos in Geschichte zu belegen." Maurice Ulrich (L"Humanité, 5. Januar 2005) bemängelt, dass das Ausmaß der nationalsozialistischen Gräueltaten keinerlei Darstellung findet, während Jean-Michel Frodon (Cahiers du cinéma, Januar 2005) darin nichts weiter als ein Vertuschungsmanöver sieht: "(...) wir haben es mit einer lumpigen Pantomime zu tun." Unabhängig von ihren jeweiligen Bewertungen scheinen die französischen Kritiker bei "Nirgendwo in Afrika" von Caroline Link mehr von der Art und Weise angezogen, in der das Thema behandelt wird, als von der eigentlichen Geschichte. Kein einziger ist auf die historische Relevanz dieses Epos eingegangen: das zwangsweise Exil einer deutsch-jüdischen Familie, deren Flucht vor den Nazis in der Gefangenschaft der Alliierten in Kenia endet. Dies wirft ein Licht auf die These, dass die Inszenierung des Zweiten Weltkriegs nur dann größeren Anklang findet, wenn sie sich im Rahmen der allgemeinen Legendenbildung bewegt. Juliette Michaud (Studio magazine, März 2004) und Florence Colombani (Le Monde, 10. März 2004) allerdings hatten eine Ahnung von der Tragweite des Films: Erstere stellt fest, dass die Regisseurin "den Realismus dem Romantizismus vorzieht", und die zweite beschreibt den Ausdruck "großer sprachloser Schmerzen".

Subjektivität verboten?

Quelle: Constantin, DIF
"Der Untergang" (2004)
 

Der veränderte Blickwinkel auf diese barbarische Zeit hat dem Film "Rosenstraße" von Margarethe von Trotta keineswegs größere Zustimmung eingebracht - als läge über dieser Zeit eine heilige Weihe, die jede subjektiv unternommene Annäherung verbieten würde. Was die Episode über den Widerstand arischer Frauen betrifft, die 1943 ihre jüdischen Männer gerettet haben, so hätte hier allein die historische Begebenheit dargestellt werden dürfen, wie Thierry Cheze (Studio magazine, Juni 2004) versichert: "Man hätte sich gewünscht, dass sie sich ausschließlich auf dieses äußerst starke Thema konzentriert." François-Guillaume Lorrain (Le Point, 10. Juni 2004) bestätigt diesen Standpunkt, kommt allerdings zu einem positiveren Fazit: "Das große Verdienst der deutschen Filmemacherin liegt darin, diese denkwürdige Begebenheit aus der Versenkung zu holen und sie mit realistischen, überzeugenden Figuren erneut lebendig werden zu lassen." Adrien Gombeaud (Positif, Juni 2004) dagegen schätzt eher den erzählerischen Ansatz der Filmemacherin: "Es ist der Schmerz, mit dem sie die Geschichte ihrer Mutter entdeckt, der uns an diesem Film zu berühren vermag."

Quelle: Concorde, DIF
"Rosenstraße" (2003)
 

Der Widerstand gegen die Nazis bleibt eines der großen Themen des deutschen Kinos. Zwei Werke, die in den französischen Kinos noch nicht zu sehen, die aber bei den Festivals von Locarno und Berlin zu entdecken waren, fanden Beachtung. "Der neunte Tag" (2004) von Volker Schlöndorff, eine Verfilmung des Tagebuchs des Abbé Jean Bernard, der nach Dachau verschleppt wurde, als er die Kollaboration mit den Nazis verweigerte, war in Locarno im Wettbewerb mit einer internationalen Auswahl konfrontiert, die insgesamt stark der Erinnerungsarbeit verschrieben war, was zu einem gewissen Überdruss führte: "(...) Auch dieses Werk kommt nicht unbeschadet um die Klippen des Thesenfilms herum", schreibt Jacques Mandelbaum (Le Monde, 8. August 2004).

Es bleibt ein heikles Thema

Quelle: X Verleih, DIF, © Jürgen Olczyk
"Sophie Scholl - Die letzten Tage" (2004)
 

Was "Sophie Scholl" (2004) betrifft, so drängt der Film sich wie ein offizieller Film auf. Das gibt Thomas Sotinel (Le Monde, 16. Februar 2005) zu verstehen, wenn er von den Widerstandskämpfern der "Weißen Rose" spricht, "einer Blume, die zum Symbol des Gedenkens an die Zerstörung Dresdens erhoben wurde." Für Gérard Lefort (Libération, 14. Februar 2005) steckt hinter dieser Produktion allerdings ein ernsteres Problem: "(...) Das merkwürdige Unternehmen, das darin besteht, das deutsche Volk zum Opfer zu erklären (Nazis wider Willen?), scheint weiterhin fortbetrieben zu werden." Die Darstellung des Hitlerregimes ist immer noch ein heikles Thema und die manchmal übertriebenen Unterstellungen, mit denen ein Film ins Visier genommen wird, bleiben nicht aus.

 

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Pierre Eisenreich ist seit 1988 Filmkritiker bei einer der wichtigsten Filmzeitschriften Frankreichs, "Positif".