Interview mit Birgit Schulz

"Man muss die Menschen ganz gezielt aus ihren vertrauten Lebensgeschichten rausreißen, man muss sie provozieren, damit sie aufwachen, und sich nicht selber mit ihren eigenen Geschichten langweilen"
Quelle: Dokumentarfilminitiative, © Mathis Hanspach
Birgit Schulz

Einige Fragen an Birgit Schulz, Regisseurin ("Die Anwälte – eine deutsche Geschichte" u.a.)

Worin besteht für Sie die Faszination des dokumentarischen Porträts, dass Sie es immer wieder als filmische Form Ihrer Arbeiten wählen?

Ich liebe es, mich einem Thema psychologisch zu nähern, das versuche ich eigentlich immer. Natürlich geht das bei jeder Art von filmischem Porträt besonders gut. Über die psychologische Herangehensweise kann man weit in die Tiefe eines Lebens, aber auch seiner gesellschaftspolitischen Umstände gelangen.

"Die Anwälte", aber auch Ihre früheren Arbeiten sind Soziogramme, Milieustudien, die einen Durchblick auf politische Verhältnisse zulassen – war der Ausgangspunkt eines Porträts für diese Absicht hilfreich?

Ja sehr. Die Anwälte sind ein gutes Beispiel dafür. Es ist letztendlich die Geschichte einer Freundschaft, die aber nur in einer besonderen historischen Phase möglich war. Danach ist sie zerbrochen. Über die persönliche Herangehensweise war es mir möglich, alle drei Hauptfiguren zunächst ihrer allseits bekannten gesellschaftspolitischen Rolle zu entreißen, was ja letztendlich zu einer ganz anderen Nähe zu ihnen geführt hat.

Wie war in "Die Anwälte" der Umgang mit Ihren Protagonisten – Ströbele, Mahler, Schily – die offensichtlich auch eine eigene Agenda mit dem Filmprojekt verfolgten?

Quelle: Real Fiction, DIF
Otto Schily in "Die Anwälte - Eine deutsche Geschichte" (2009)

Schily hat noch am wenigsten eigene Ziele mit dem Filmprojekt verfolgt, Ströbele ein bisschen, Mahler hat es natürlich in voller Gänze versucht. Ich habe versucht, allen dreien völlig vorurteilsfrei zu begegnen – auch Mahler – und das auf Augenhöhe. Immerhin hat es zwei Jahre gedauert, bevor ich alle drei überzeugen konnte. Aber mir ist total klar, dass mir das nicht gelungen wäre, hätte ich mich auch nur einem von Ihnen untergeordnet. Allen dreien musste ich Respekt abverlangen. Dann ging es irgendwann. Nichtsdestotrotz möchte ich nicht verleugnen, dass die Drehpausen mit Mahler sehr anstrengend waren, weil mir absolut kein Smalltalk möglich war und weil sich kein Teammitglied mit ihm gemein machen wollte, was ja auch richtig war.

Sie haben viele TV-Porträts über Prominente gemacht (Hildegard Knef, Alice Schwarzer, Werner Schroeter). Wie entgeht man in der Arbeit mit so prominenten und medienerfahrenen ProtagonistInnen der Gefahr, eine Art Marketingfilm herzustellen?

Man muss diese Menschen ganz gezielt aus ihren vertrauten Lebensgeschichten rausreißen, man muss sie provozieren, damit sie aufwachen, und sich nicht selber mit ihren eigenen Geschichten langweilen, sondern Lust haben, auch mal was ganz anderes zu erzählen. Bei Hildegard Knef habe ich bewusst mit dem Thema angefangen, von dem ich wusste, dass es sie bis heute ärgert: Ihre Nacktrolle in "Die Sünderin" – danach war ja im prüden Deutschland die Hölle los. Da ist Hildegard Knef ausgerastet, und alles war gut...

Was kann ein Porträt als filmische Form heute leisten? Was kann es im Umgang mit prominenten und öffentlich durchleuchteten Protagonisten noch zeigen?

Sagen wir mal so: Es wird immer schwieriger, weil die Promis heute meistens echte Medienprofis sind. Das finde ich eigentlich langweilig. Deshalb interessieren mich auch mehr und mehr die ganz normalen Menschen mit ihren tollen Geschichten. Einen Film über Angela Merkel würde ich allerdings gern noch machen, aber ganz ohne Interview, rein aus der Beobachtung heraus...