Drei Fragen zum "deutsch-türkischen" Kino

Frage 1: Von wem reden wir hier überhaupt?
Wer sind diese sog. "deutsch-türkischen" Filmschaffenden? Es sind Frauen und Männer, die mit ihren Eltern als Kinder oder Jugendliche nach Deutschland gekommen sind, oder aber in Deutschland geboren wurden. Manche von ihnen besitzen einen deutschen Pass, andere nicht. Die Mehrheit wuchs zweisprachig auf, doch es ist schwer zu sagen, wer welche Sprache als seine bzw. ihre Muttersprache betrachtet. Und wie sie sich selbst definieren, davon kann per se nichts gesagt werden. Genauso unterschiedlich wie ihre Biographien sind ihre Filme

 
© Trans-Film
Mariam El Awad, Serpil Turhan in "Geschwister – Karde?ler" (1997)
 

Frage 2: Was ist ein deutscher Film?
Wo verläuft die Grenze zwischen einem deutschen und einem "deutsch-türkischen" Kino? Gibt es sie überhaupt? Wie ist ein Film wie "Gegen die Wand" einzuordnen, der von einer deutschen Produktionsfirma hergestellt wurde und unter der Regie eines türkischstämmigen, in Hamburg geborenen Regisseurs entstand, dessen Vorbilder eher im amerikanischen Genrekino zu finden sind? Ein Film, der teils in Hamburg, teils in Istanbul spielt, mit deutschem, türkischem und "deutsch-türkischem" Stab, und der auf Türkisch und Deutsch gedreht wurde? Ist er ein deutscher, ein türkischer oder ein deutsch-türkischer Film? Ist Thomas Arslans "Geschwister – Kardeşler", ein Film über drei höchst unterschiedliche Berliner Jugendliche (gespielt von Serpil Turhan, Tamer Yigit und Savas Yurderi), "türkischer" als Mennan Yapos Thriller "Lautlos" mit Joachim Król in der Hauptrolle? Ist "Lautlos" "türkischer" als Wolfgang Beckers deutsch-deutsches "Good Bye, Lenin!" – beides Produktionen der Berliner X-Filme Creative Pool? Inwiefern unterscheiden sich die Produktionsbedingungen der Filme eines in Deutschland lebenden Türken, bzw. eines Deutschen türkischer Abstammung von denen eines ("nur") deutschen Filmschaffenden? Wie deutsch oder wie türkisch ist "Yara"? Der Film ist eine deutsch-türkisch-schweizerische Co-Produktion unter der Regie von Yilmaz Arslan, der in der Türkei geboren wurde und seit 1978 in Deutschland lebt. "Yara" spielt in Deutschland und in der Türkei und die Hauptdarstellerin, Yelda Rynaud, ist eine in Österreich geborene französische Staatsbürgerin. Die Kamera führte der Hannoveraner Jürgen Jürges, verantwortlich für Schnitt und Ton waren zwei Brasilianer, André Bendocchi Alves und João da Costa Pinto, und die Musik wurde von dem im Libanon geborenen Tonkünstler Rabih Abou-Khalil komponiert. Macht er Aussagen über Einwanderer? Über Türken? Über Deutsche? Über die Filmproduktion im Europa des 21. Jahrhunderts?

Quelle: Pegasos, DIF
"Yara" (1998)
 

Frage 3: Die Bedeutung von "deutsch-türkisch"
Wie sollen wir über diese Filme sprechen? Inwieweit zementiert schon der Begriff "deutsch-türkisch" ein "Gegensatz"-Paar und schreibt somit Zuschreibungen und Stereotypen fest? Wir stehen vor einem Dilemma: In Zeiten, in denen die Globalisierung und Grenzgänger aller Art zum Alltag gehören, stellen uns diese neuen Filme vor die Herausforderung, Kulturphänomene ohne den Rekurs auf so etablierte wie fragwürdige nationale oder ethnische Kategorien zu beschreiben. Andererseits würde das Verschweigen von öffentlich wahrgenommenen (wie auch immer gearteten) Unterschieden einen wichtigen Aspekt in der Rezeption dieser Filme ausblenden. Fakt ist z.B., dass sich Fatih Akin während der Berlinale 2004 noch gegen das Etikett eines "Gastarbeiterfilms" für "Gegen die Wand" wehren musste. In Ermangelung einer präziseren Bezeichnung zu diesem transnationalen Netz aus höchst unterschiedlichen Filmen nennen wir es hier "deutsch-türkisches Kino" – in Anführungszeichen.