Lola rennt

Deutschland 1997/1998 Spielfilm

Ein bißchen außer Atem

Tom Tykwers deutsches Techno-Triptychon "Lola rennt" mit Franka Potente


Peter Körte, Frankfurter Rundschau, 19.08.1998

Alles so schön zerstückelt hier. Ein Bildergewitter zuckt und blitzt vorüber, und alles ist dabei: Eine Techno-Love-Post-Nouvelle-Vague-Berlin-Krimi-Story. Die Ballung sorgt für die Unruhe, die Unruhe skandiert den Rhythmus, der Rhythmus zerstückelt die Bilder, die Bilder springen zwischen den Formaten. Video, Zeichentrick und 35mm, steile Aufsichten, hohe Kranperspektiven, Rückblenden, Flashforwards, Vorblenden also, bei denen mal im Zeitraffer, mal wie in hochbeschleunigter Einzelbildschaltung, Lebenswege von Passanten vorbeiflackern. Und "Lola rennt", so lange bis man ein bißchen an "Außer Atem" denkt.

Tom Tykwer, 33, der Wuppertaler mit Berliner Wohnsitz, hat nach "Die tödliche Maria" und "Winterschläfer" mit "Lola rennt" seinen dritten Film gedreht. Es gibt nicht viele aus seiner (auch nicht aus einer anderen) Generation im deutschen Film, für die das Kino ein visueller Abenteuerspielplatz ist. Tykwer ist keiner, der glaubt, zur passenden Geschichte würden die Bilder sich schon von selbst einfinden – so sehen die meisten Filme dann auch aus. Für Tykwer ist die Geschichte immer schon Bild, und die Bilder sind solche von anderen Bildern, weil Zitate für ihn zum Spiel gehören, in dem das Kino sich auf sich selbst bezieht, weil sich im Kino ein Stück Lebensrhythmus wiederfinden soll. Wer sich durch das vom Fernsehen formatierte Kino-Deutschland zappt, merkt schnell, daß das nicht so selbstverständlich ist, wie es klingt.

Um das Spiel zu spielen, das bekanntlich 90 Minuten dauert, braucht es nur einen simplen Plot. Manni vergißt die 100000 Mark, die er überbringen soll, in der U-Bahn, ein Penner nimmt die Plastiktüte, und Lola, die Manni eigentlich abholen sollte, soll es nun richten. 11 Uhr 40, noch 20 Minuten bis High Noon, das ist knapp und zugleich ein unendlich dehnbarer Raum für Suspense. Bei Tykwer passen in 20 Minuten drei Geschichten à 27 Minuten, drei Versionen einer Geschichte auf Leben und Tod. Sie handelt vom netten kleinen Gauner, nicht ganz helle, der für seinen Boss (Heino Ferch) Geld einsammelt, und vom Mädchen aus gutem Hause, Bankdirektor ist der Vater (Herbert Knaup), wie wir drei Mal sehen werden; ein Mädchen, das behütet ist und den Mangel an Straßencleverness durch unbeugsame Energie und Liebe wettmacht, um ihrem Manni das Geld zu besorgen.

Zwischen den Versionen liegen kleine Romanzen in rotfiltrigem Licht. Sie sind die beiden Nahtstellen, an denen sich der Film zum Techno-Triptychon von Tod, Tod und Leben ausfaltet. Man sieht, wie es kommt und anders kommen könnte, da muß keine Wahrheit gegen die Einbildung behauptet werden, keine Wirklichkeit gegen einen (Alb-)Traum. Die Handlungsmöglichkeiten zischen vorbei, wie im Zeitraffer des Bewußtseins, wenn man fieberhaft antizipiert, was man tun soll. Eine Glasscheibe kann zerspringen oder nicht, eine Kleinigkeit alles ändern, wie die gerauchte oder die abgelehnte Zigarette in Alain Resnais" "Smoking / Non Smoking". Im Kino regiert der Konjunktiv. Und deshalb hat "Lola rennt" auch seine eigene Märchen- oder Traumlandschaft, so leer sind die Straßen von Berlin.

Tom Tykwer hat allerdings auch ein Problem. Aus seinen Statements klingt etwas Missionarisches, nein, vielleicht ist es nur der Gestus des seiner selbst gewissen Einzelkämpfers. Natürlich entlockt jeder Verleih fürs Presseheft dem Regisseur gern kräftige Sprüche. Tykwer liefert. Dadurch erscheint der Film ein wenig größer als er ist. Doch das Programmatische kann man beiseite schieben. Auch das halsbrecherische Tempo ist nicht das Problem, es ist eher das Timing. Nicht erst in der dritten Variante hängen einzelne Szenen durch. Im Kasino etwa, wo Lola in Version drei aufs Ganze geht, ists nur langweilig, da schleift der Rhythmus ein Geschehen mit, das das gar nicht verträgt. Und vor lauter optischen Gimmicks in der Postproduktion vergeudet Tom Tykwer sein größtes Kapital: Franka Potente und Moritz Bleibtreu. Man hat kaum Ruhe, ihnen zuzuschauen, sich zu freuen, endlich mal nicht Katja Riemann anglotzen zu müssen. Am schönsten ist der Film, wenn Lola rennt, quer über die Straße, nie langsamer werdend, rot die Haare wie Pippi Langstrumpf, voller Empörung und Entschlossenheit. Franka Potente, ohnehin eines der aufregendsten Gesichter im deutschen Kino, strahlt eine Vitalität und Unschuld aus, die einem den Atem raubt. Und Moritz Bleibtreu, das ist klar, kann weit mehr als er in der Rolle zeigen durfte, die ihn bekannt machte: des Gauners Abdul in "Knockin" on Heaven"s Door".

Tom Tykwer kann treffsicher besetzen, auch das war schon in seinen beiden ersten Filmen zu sehen, doch seine Akteure hängen viel zu sehr an den unsichtbaren Schnüren des Konzepts. "Lola rennt" bringt das aufgrund seiner Erzählweise, die ohne minutiöses Storyboard nicht denkbar wäre, unfreiwillig drastisch zum Vorschein. Das Artifizielle droht, wie schon in "Winterschläfer", die Figuren zu lahmen, und sie sind nicht Kunstfiguren genug, damit das funktionieren könnte; im Gegenteil, sie sollen alltäglich sein, einfach, zugänglich und bewegend. Aus diesem Dilemma findet Tykwer nicht wirklich heraus, und so dreht die Dynamik bisweilen hohl. Der Film kommt ein bißchen außer Atem. Das nimmt Lola manches von seinem Charme, den er fraglos reichlich hat. Und wenn Lola und ihr Manni nicht gestorben sind, dann laufen sie noch heute – sogar bis nach Venedig, wo Lola Anfang September im Wettbewerb der Filmfestspiele rennt.

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