Deutsches Filmmuseum präsentiert Multimediaguide für Dauerausstellung

Das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt hat für seinen elektronischen Ausstellungsführer einen ganz besonderen Weg eingeschlagen:  Es sich drei Jahre Zeit genommen und insgesamt rund 50 Kinder und Jugendliche aus ganz unterschiedlichen Frankfurter Stadtteilen in die Produktion einbezogen.

Die Jugendlichen bestimmten wesentliche Inhalte des Guides und erarbeiteten für dessen Hauptzielgruppe - Kinder, Jugendliche und Familien - Beiträge zu den von ihnen ausgewählten Exponaten der Dauerausstellung. Dieser Perspektivwechsel war nicht nur für die Entwicklung des Guides selbst essentiell, auch für zukünftige Filmbildungsformate konnte das Museum daraus wichtige Schlussfolgerungen ziehen. Was interessiert Kinder und Jugendliche am Filmmuseum, besonders an seiner Dauerausstellung? Dafür erschlossen sich die Heranwachsenden in drei Altersgruppen jeweils über sechs Monate das Museum und recherchierten zu verschiedenen Themen.

Auf dem Guide können die Besucher/innen von Samstag, 2. September, an mit vielen Interviews, Audiobeiträgen, Filmausschnitten, Fotos und spielerischen Zugängen das Thema Film, seine Geschichte und sprachlichen Mittel erkunden.

"Den Besucher/innen mithilfe eines Multimediaguides noch einmal ganz neue Zugänge zu den Inhalten, Themen und Ausstellungsstücken des Filmmuseums zu erschließen sowie das Museum für andere Zielgruppen zu öffnen,war ein ganz wichtiges Ziel des prozesshaft angelegten Projekts", erläutert Christine Kopf, Leiterin der Abteilung Filmbildung und -vermittlung des Deutschen Filminstituts. Darüber hinaus sei es jedoch auch darum gegangen, zu erfahren, wie Kinder und Jugendliche auf die Angebote des Hauses reagieren und welche Objekte sie besonders ansprechen.

"Und das ist mit durchaus überraschenden Ergebnissen ganz hervorragend gelungen", versichert Claudia Dillmann, Direktorin des Deutschen Filmmuseums: "Dass unser Darth-Vader-Helm viele junge Menschen begeistert, bestätigte sich auch bei den Multimediaguide-Teilnehmer/innen. Aber dass viele sich sehr für die Blechtrommel aus dem gleichnamigen Film von Volker Schlöndorff aus dem Jahr 1979 interessierten, den nur einer der Teilnehmer je gesehen hatte: Das freute uns doch besonders." Andere, wie der 16-jährige Rafi, entdeckten nach und nach ihre Faszination für Schwarzweiß-Filme aus der Frühphase der Filmgeschichte, die etwa im Kleinen Kino in der Dauerausstellung I zu sehen sind. "Zuerst haben mir die Stummfilme nicht so gefallen, sie waren mir zu skurril."

Die Beiträge der jungen Museumsforscher/innen sind vielfältig: Was sich hinter den Kulissen eines Museums abspielt, erkundete die erste Gruppe, 22 Viertklässler zwischen neun und zehn Jahren aus der Günderrodeschule im Frankfurter Stadtteil Gallus. Sie führten Interviews mit verschiedenen Mitarbeiter/innen des Hauses, mit Archivleitern, dem Haustechniker, dem Filmvorführer und der Direktorin, die als kurze Filmbeiträge auf dem Guide zu sehen sind.

Die zweite Gruppe, elf 16- bis 18-jährige, darunter auch Diesterweg-Stipendiaten der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main, setzte sich an mehreren Projekttagen in den Schulferien mit den Exponaten in der Dauerausstellung II auseinander, wo es um das Filmische Erzählen und die filmsprachlichen Mittel geht. Sie recherchierten Hintergrundmaterialien zu von ihnen ausgewählten Exponaten, etwa zum Alien-Stuntkostüm, zum Darth-Vader-Helm oder dem Kleid, das Barbara Sukowa in Rainer Werner Fassbinders "Lola" (BRD 1981) trägt. Die Ergebnisse fassten sie in kurzen Texten zusammen. Kleine, selbst eingesprochene Filme stellen die Exponate schließlich auf dem Guide vor.

Zahra und Lennard begeisterten sich so für die Blechtrommel, dass sie unbedingt wissen wollten, wie der Schauspieler des Oskar, David Bennent, heute über seine beinahe 40 Jahre zurückliegende Rolle denkt. Er, der sonst nicht mehr öffentlich über seine Rolle spricht, machte für die Jugendlichen eine Ausnahme und reiste für das Interview nach Frankfurt. Nils, Tobias und Simon wollten erfahren, wie Jost Vacano in der engen U-Boot-Kulisse von "Das Boot" (BRD 1981, R: Wolfgang Petersen) mit seiner selbst konstruierten Arri-II-B-Kamera drehen konnte. Also wurde ein Besuch bei dem legendären Kameramann zuhause in München organisiert. Beide Interviewfilme sind auf dem Guide zu sehen.

Die dritte Gruppe, 13 Jugendliche zwischen zwölf und 15 Jahren, tauchte ein in die Vor- und Frühgeschichte des Films. Die Jugendlichen nahmen sich an verschiedenen Wochenenden und Projekttagen in den Ferien im ersten Teil der Dauerausstellung einzelne Exponate vor, zu denen sie vertiefende Informationen sammelten. Die von ihnen ausgewählten Stücke, ob Laterna magica, Camera obscura, Kinetoskop oder Wundertrommel, porträtierten sie dann in selbstverfassten Texten, die sie selbst im Tonstudio vortrugen. Und kamen dabei zu verblüffenden Vergleichen, wie der 15-jährige Rufus: "Für mich ist das Kinetoskop interessant, denn es erinnert mich an die heutigen Virtual-Reality-Brillen, da man auch durch ein brillenartiges Guckloch guckt und in eine andere Welt eintaucht." Lara hat zu ihrem Lieblingsexponat, dem Frankfurter Panorama, herausgefunden: "Wusstet Ihr, dass wenn im Panorama Kriegsschlachten gezeigt wurden, Bauern oft mehrtägige Reisen antraten, damit sie die Heldentaten ihrer verstorbenen Söhne sehen konnten?" Die Audiobeiträge, von denen manche mit Fotos, andere mit selbst gedrehtem Bewegtbild unterlegt sind, können selbstverständlich auch im Multimediaguide abgerufen werden.

Alle drei Gruppen wurden in Workshops auf ihre Aufgaben vorbereitet und arbeiteten sich nach und nach spielerisch in filmgeschichtliche wie filmanalytische Themen und Techniken ein. Dabei konnte das Museum für die Workshops nicht nur die wichtigsten deutschen Filmvermittler/innen gewinnen, sondern auch Restaurator/innen, Maskenbildner/innen, Lichttechniker/innen, Musiker/innen des Ensemble Modern, bekannte Schriftsteller/innen wie Matthias Göritz oder Silke Scheuermann, Filmemacher/innen und Animationskünstler wie Thomas Stellmach - und viele mehr.

Vertiefende Texte zu den Sammlungen des Deutschen Filmmuseums, zum Kino, zur Geschichte des Hauses, zu Exponaten und Filmgeschichte steuerten die Museumsexpert/innen bei. Hier erfährt man etwa, dass es ein arabischer Gelehrter war, der als erster den Effekt einer Camera obscura entdeckte oder wie mit Musik und Spiel Laterna-magica-Aufführungen im 19. Jahrhundert zu aufregenden Ereignissen wurden. Die Texte sind als Audiodateien zu hören - vorgelesen von dem Schauspieler Wotan Wilke Möhring.

Wichtig bei diesem partizipativen Projekt sind - über die filmanalytische Schulung der Workshop-Teilnehmer hinaus - die gewonnenen Erkenntnisse, die sich aus dem Blick der Kinder und Jugendlichen auf das Filmmuseum und seine Dauerausstellung und aus ihren Fragen und Anregungen ableiten lassen. "Dank unseren Förderern waren wir in der Lage, dieses Projekt so langfristig zu entwickeln. Es ließ den oft unterschiedlichen Bedürfnissen der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen Raum und gab uns die Möglichkeit, Projektabläufe flexibel anzupassen. Nur so können partizipative Prozesse wirklich gelingen und sich strukturell auf unsere zukünftige Arbeit auswirken", betont Projektleiterin Barbara Dierksen.

Das sieht auch Claudia Dillmann so: "Seit der Eröffnung des Deutschen Filmmuseums 1984 sind hier unzählige Schulklassen ein und aus gegangen und haben immer viel über Film gelernt. Die Abteilung Filmbildung und -vermittlung hat mit diesem Projekt jetzt die digitale Herausforderung angenommen und verbindet sie mit wichtigen gesellschaftspolitischen Anliegen", betont die Museumschefin. "Denn wer Teilhabe und Chancengleichheit durch kulturelle Bildung ernst nimmt, muss dafür auch neue, passgerechte Formate anbieten."

Quelle: www.deutsches-filmmuseum.de