Die Wochenschau in der DDR

Quelle: www.wochenschau-archiv.de
Titel der DEFA-Wochenschau "Der Augenzeuge"
 

Die sowjetische Militäradministration bemühte sich schon früh darum, in der von ihr dominierten Zone ein Sprachrohr zur Beeinflussung der Massen im Sinne der sozialistischen Weltanschauung zu schaffen. Ein Versuch in diese Richtung war die Aufführung der sowjetischen Nachrichtensendung "Nowosti dnja" ("Neues vom Tage") in deutscher Sprache, der allerdings beim hiesigen Publikum kein großer Erfolg beschieden war. Es gab unter den Kulturschaffenden der sowjetisch besetzten Zone in der frühen Nachkriegszeit gleichwohl die Hoffnung auf freie Entfaltung der Schöpferkräfte, auch was die aktuelle Berichterstattung betraf. Politisch hoffte man auf die Möglichkeit eines besonderen, deutschen Weges zum Sozialismus. Diese Visionen förderten Enthusiasmus und Aufbruchsstimmung.

 

"Der Augenzeuge"

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Beitrag "Parlament der Freien Deutschen Jugend" in "Der Augenzeuge" (AZ 11/1946) aus dem Jahr 1946
 

Im Zeichen einer zunehmenden ideologischen Unterwerfung – bei dennoch präsentem ästhetischem Aufbegehren – standen auch die Arbeiten an der ostdeutschen Wochenschau "Der Augenzeuge". Sie kam am 19. Februar 1946 das erste Mal in die Kinos – noch vor der offiziellen Gründung der Deutschen Film-AG, der DEFA am 17. Mai 1946. Programmatisch war der Slogan: "Sie sehen selbst, Sie hören selbst, urteilen Sie selbst!" Es standen kaum mehr die für Vorkriegswochenschauen typischen "Sensationen" im Zentrum der Darstellung, sondern das Alltägliche, mit besonderer Akzentuierung des Werktätigen in all seinen gesellschaftlichen Funktionen. In gewisser Weise entsprach man hier bereits Grundprinzipien des so genannten "sozialistischen Realismus", mit dem repräsentative Erscheinungsformen des Lebens in typischen Konstellationen präsentiert werden sollten. Großen Publikumserfolg hatte besonders die vom "Augenzeugen" ins Leben gerufene Aktion "Kinder suchen ihre Eltern" ("Der Augenzeuge" 1946 / Nr. 12 – 1949 / Nr. 1). "Der Augenzeuge" erschien zunächst unregelmäßig ungefähr alle zwei Wochen. So folgten auf die erste Ausgabe am 19. Januar 1946 die zweite Ende Februar, die dritte im März, die vierte und fünfte im April, die sechste, siebte und achte im Mai, Nr. 9 im Juni und Nr. 10 sowie 11 im Juli. Ab Ausgabe 12 im August 1946 erschien er dann mit wenigen Ausnahmen (zwischen 1957 und 1960) regelmäßig jeweils einmal pro Woche. Zwischen 1946 und 1948 fand ein reger internationaler Austausch von Nachrichtenmaterialien statt (besonders mit der Sowjetunion, aber auch mit Polen, Österreich, Frankreich, den USA, Jugoslawien und Bulgarien). Allerdings verstärkte sich mit der Zeit der Druck der sowjetischen Militäradministration auf die Redaktion. Ab 1947 mussten alle produzierten "Augenzeugen" der sowjetischen Militärzensur vorgeführt werden.

Der Paradigmenwechsel

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Beitrag "Kinder suchen ihre Eltern" in "Der Augenzeuge" (AZ 95/1948) aus dem Jahr 1948
 

Als 1946 die Gründung der "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED) erfolgte, kam es zu einem Paradigmenwechsel, der das gesamte ostdeutsche Kulturleben erfasste. Die sich nun völlig an der KPdSU orientierende Partei sah sich als Vorhut der Arbeiterklasse und aller Werktätigen und zementierte auch ideologisch ihren Herrschaftsanspruch. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Unterordnung der Massenmedien unter die Parteiambitionen gerichtet. Die Parteikontrolle auch über den "Augenzeugen" nahm zu, es dominierten fortan offizielle Sujets: Versammlungen; Arbeitserfolge; das sowjetisch beeinflusste Ausland. Außer der Politik war die Wissenschaft ein beliebtes Thema, welches sich passgenau in die sozialistische Weltanschauung eintakten ließ. Angestrebt wurde die Verbreitung eines materialistischen auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen fußenden Weltbildes, welches jegliche metaphysische und religiöse Dimension aus den Köpfen der Menschen vertreiben sollte. Innerhalb der DEFA kam es mit den Jahren zu Umstrukturierungen, die sich auch auf die Herstellung des "Augenzeugen" auswirkten. Im Jahre 1952 wurde die DEFA GmbH dezentralisiert. Es wurden vier selbständige Produktionsgruppen gebildet. Die ab 1953 den "Augenzeugen" produzierende Abteilung gehörte dem DEFA-Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme an. Im Jahre 1969 wurde dieses Studio mit dem DEFA-Studio für populärwissenschaftliche Filme zusammengelegt, es entstand das DEFA-Studio für Kurzfilme – hier wurde der "Augenzeuge" bis 1976 hergestellt. Im Zeitraum von 1976 bis 1980 erfolgte die Produktion dann im DEFA-Studio für Dokumentarfilme. Der jeweilige Wechsel der Organisationsstruktur wirkte sich vor allem auf die filmkünstlerische Seite des "Augenzeugen" aus.

Die 1950er und 60er Jahre

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Beitrag "Im Zeichen der Freundschaft - Otto Grotewohl reist nach Polen" in "Der Augenzeuge" (AZ 28/1955) aus dem Jahr 1955
 

Ende der 1940er und zu Beginn der 50er Jahre hatte die stalinistische Ausprägung des Sozialismus auch in der 1949 gegründeten DDR einen Höhepunkt erreicht. Dies führte auch bei den Machern des "Augenzeugen" zu personellen Konsequenzen (so verließ seine Mitbegründerin, Marion Keller, die Redaktion, übersiedelte später sogar in den Westen). Erst nach Stalins Tod im Jahre 1953 setzte mit der sogenannten "Tauwetterperiode" eine Trendwende in der Berichterstattung ein. Man konnte nun bisher tabuisierte Themen angehen wie z.B. Engpässe in der Versorgung, mangelnde Wohnraumkontingente, Probleme in den Volkseigenen Betrieben. Die Außenpolitik nahm inzwischen ein Drittel der Berichte ein. Maßgeblich zwar auf die sozialistischen Länder konzentriert, war es dennoch möglich, nun auch das nichtsozialistische Gebiet wieder in die Darstellung einzubeziehen. "Der Augenzeuge" wurde insgesamt moderner. Es gab wieder mehr Sport, Humor und Kultur. Nach dem Mauerbau von 1961 verschärfte sich das Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten jedoch wieder. Dennoch gab es noch einige Zeit Spielraum für nüchterne Berichte und sachliche Argumentation. Neben den laufenden Wochenschauen produzierten die Redakteure des "Augenzeugen" auch in relativ großem Umfang monothematische Sonderwochen- und berichte, zum Beispiel: "Pressekonferenz mit dem Bundestagsabgeordneten Schmidt-Wittmarck (1954)"; "Leipziger Frühjahrsmesse" (1955); "Das Fußballspiel in Moskau" (1955); "I. Spartakiade der befreundeten Armeen" (1958). Ende der 1950er Jahre unterstand "Der Augenzeuge" nicht mehr der Agitationsabteilung, sondern der Kulturabteilung. Dies wirkte sich positiv auf die künstlerische Qualität aus, die dem "Augenzeugen" auch im Ausland zunehmend Anerkennung verschaffte. 1959 wurde diese Entwicklung mit seiner Aufnahme in die "International Newsreel Association" (INA) honoriert. Als 1968 die Verfassung der DDR in Kraft trat, kam es zu einer verschärft konfrontativen Deutschlandpolitik auf beiden Seiten. Die deutsch-deutsche Berichterstattung wurde vom "Augenzeugen" auf ein Mindestmaß reduziert, die Reglementierung nahm wieder zu, die Themenauswahl wurde eingeschränkt und die Zensur verschärft.

Von den 1970er bis zum Ende der 80er Jahre

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Beitrag "1946-1976 - 30 Jahre DEFA-Wochenschau "Der Augenzeuge" mit Ausschnitten zur Sowjetischen Besatzungszone" in "Der Augenzeuge" (AZ 17/1976) aus dem Jahr 1976
 

Die 1970er Jahre, die Ära Breschnew in der Sowjetunion und die Ära Ulbricht, später Honecker (ab 1973) in der DDR, kann man als eine politische Stagnationsperiode bezeichnen. Die Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahre 1968 hatte in allen sozialistischen Ländern vorerst die Hoffnung auf Veränderung für lange Zeit gestoppt, was sich auch in der aktuellen Berichterstattung niederschlug. Gefordert war die Darstellung von Tagungen und Parteitagen, Staatsempfängen, Erfolgen der sozialistischen Planwirtschaft. Fehler wurden vertuscht, Bilder oder Erkenntnisse, die nicht mir dem planmäßigen Aufbau des Sozialismus harmonierten, eliminiert. "Der Augenzeuge" war nun vor allem Sprachrohr der offiziellen Politik, was sich in allen gezeigten Sparten – von der Kultur über die Wissenschaft bis zum Sport – widerspiegelte, obwohl die Redakteure selbst partiell versuchten, Kontrapunkte zu setzen. Ein weiterer Umstand belastete den Fortbestand des "Augenzeugen" zunehmend: die Konkurrenz durch das Fernsehen. Einerseits wurde das zweite DDR-Programm vorbereitet, andererseits informierten sich viele DDR-Bürger auch im Westfernsehen und verglichen die verkündeten Nachrichten miteinander. Eine zusätzliche Schwierigkeit für den "Augenzeugen" bestand darin, dass eine neue Generation neue Sehgewohnheiten entwickelte und damit auch neue Ansprüche an Kinodarbietungen.

Quelle: www.wochenschau-archiv.de
Beitrag "Letzte Ausgabe der DEFA-Wochenschau "Der Augenzeuge" - Rückblick auf die Geschichte der Wochenschau von 1946 bis 1980 mit Stationen der Entwicklung in der DDR und in der Welt" in "Der Augenzeuge" (AZ 51/1980) aus dem Jahr 1980
 

"Der Augenzeuge" wurde bald zum sich selbst bespiegelnden Medium, das seine Chance nur noch in einer deskriptiven Rückschau und weniger in der journalistischen Bewältigung anstehender Probleme sah. Die SED forcierte immer mehr das Fernsehen als ideales Medium der Massenbeeinflussung und kürzte die Gelder für die Kinowochenschau. Mit der Nr. 51 von 1980 stellte "Der Augenzeuge" sein Erscheinen ein. Ab 1981 kam ein neues Format, die sogenannte "Kinobox", als Beiprogramm in die Filmtheater. Zwölf Ausgaben der "DEFA-Kinobox" wurden jährlich vom DEFA-Studio für Dokumentarfilme GmbH (Berlin), Gruppe "Kinobox", hergestellt. Die Produktionen hatte eher Magazincharakter, wobei sich nun Information und Unterhaltung zugunsten der letzteren mischten. Die "Kinobox" konnte sich als eine Art Post-Wochenschau noch bis 1988 in den DDR-Kinotheatern halten.